„Heute Morgen, als ich auf dem Weg zur Arbeit aus der Bahn ausgestiegen bin, hat plötzlich jemand hinter mir aus Spaß eine Plastikflasche zertreten. Mir kamen in dem Moment die schlimmsten Dinge in den Sinn und dann habe ich mich richtig über mich selbst geärgert, dass ich so ein Angsthase bin.“ Diese Geschichte erzählte uns gestern Abend eine Freundin am Telefon. Und es ist gut vorstellbar, dass sie nicht die Einzige ist, die momentan etwas – nennen wir es mal ‚angespannt‘ – durch das Leben läuft.
Verstehen können wir es ja. Kaum ein Tag vergeht, an dem uns nicht irgendeine Hiobsbotschaft erreicht. Der Anschlag in Nizza, Brexit, der Amokläufer in Würzburg, Fremdenfeindlichkeit, Pegida, Putsch in Istanbul, Terrorismus… Wo soll das alles noch hinführen? Können wir überhaupt noch so auf die Straße gehen, reisen, tanzen, feiern?
„Ängste sind bis zu einem bestimmten Grad gesund und normal, wir alle haben sie,“ erklärt uns Psychologe Martin Sebastian Moritz aus Hamburg. Es gebe aber Menschen, die Abstand zu ihren Ängsten haben und sich davon im Alltag nicht beirren lassen.
„Solche Menschen haben ein festes Netz aus Menschen, die ihnen lieb und teuer sind, eine Arbeit, die ihnen Struktur und Halt gibt. Und vor allem eine positive Grundhaltung. ‚Mir wird schon nichts passieren.‘,“ sagt Martin Sebastian Moritz. Ist man dagegen eher ängstlich, liegt dies meist in der Kindheit begründet. Ängstliche Menschen sind oftmals mit Eltern aufgewachsen, die ebenfalls ängstlich waren und diese Angst auf ihre Kinder übertrugen.
„Botschaften wie ‚Pass auf‘. ‚Mach das bloß nicht.‘ ‚Trau niemandem‘. ‚Vorsicht ist besser als Nachsicht.‘ sind im Einzelnen vielleicht sinnvoll. Aber wenn sie immer wieder an uns weitergegeben werden, dann verfestigen sie sich in uns und führen ein Eigenleben. Die Stimmen der Eltern werden unsere eigenen, inneren Stimmen“, sagt Moritz. Andere Menschen haben negative Erlebnisse gemacht, die sie belasten. Das kann eine enttäuschte Beziehung, der Verlust des Jobs oder eine Krankheit sein. Jedes negative Erlebnis wird abgespeichert und macht uns ängstlicher und ängstlicher. Die Fähigkeit, an sich zu glauben, wird kleiner und kleiner…
Wenn uns die Angst wieder mal überkommt, müssen wir jedoch keinesfalls wie versteinert zusehen. Laut Martin Sebastian Moritz kann man einiges tun, um seine Ängste in den Griff zu bekommen:
Abstand
Es ist gut, wenn du auf dem Laufenden bleiben willst, regelmäßig Zeitungen liest und dich im Internet informierst. Geht dir momentan aber alles zu nahe, versuche Abstand zu gewinnen und lass einfach mal ein paar Tage den Fernseher aus.
Kontrolle
Versuche, die Dinge im Leben, die du unter Kontrolle hast, ganz bewusst anzugehen. Schaffe und pflege Routinen. Sport, die Wohnung aufräumen, sich mit Freunden treffen… Diese Dinge geben dir Sicherheit und das Gefühl, dass nicht alles chaotisch und gefährlich ist.
Werde aktiv
Wenn du etwas gegen Gewalt und Ungerechtigkeit tun willst, gibt es viele Möglichkeiten. Du kannst protestieren, Geld spenden, dich ehrenamtlich engagieren. Etwas zu tun, und Dinge nicht einfach nur hinzunehmen, kann dir das Gefühl der Ohnmacht nehmen
Sprich drüber!
Hör dich in deinem Freundes- / Bekannten- / Familienkreis um. Wie gehen die anderen mit dir und deinen Ängsten um? Nimmt man dich ernst? Manchmal ist es gut, deine Ängste zu teilen. Aber nicht immer verstehen die anderen dich. Dann wird es vielleicht Zeit, Hilfe zu suchen. Es gibt Selbsthilfegruppen, Therapien und Online-Foren. Wichtig ist vor allem eines: Lauf nicht weg vor deiner Angst. Stelle dich ihr und versuche, dir selbst zu helfen oder dir helfen zu lassen.
Wie schlimm ist diese Angst?
Es gibt in der Therapie eine ganz einfache Regel: Wenn ein Symptom, in diesem Fall Angst, so schlimm wird, dass unsere Lebensqualität massiv leidet, ist es Zeit, Hilfe zu suchen.
Ein englisches Sprichwort sagt, Angst ist ein schlechter Ratgeber. Das glauben wir gern. Rein theoretisch kann uns jeden Tag, sei es auf dem Weg zur Arbeit, sei es im Flugzeug in den Urlaub oder im Auto beim Einkaufen, etwas Schlimmes passieren. Sich deshalb zu verschanzen und das Schneckenhaus gar nicht mehr zu verlassen, kann aber nicht die Lösung sein. Oder um es mit Helge Schneiders Worten zu sagen: „Wenn das so weitergeht und ich am Ende morgen auch noch mal absagen muss… Dann komme ich Donnerstag wieder.“