Es verbreitete sich in den letzten Tagen wie ein Lauffeuer. Und war dabei vor allem eines – ziemlich reißerisch. Schlagzeilen wie „Schock für Veganer: Sind Avocados gar nicht vegan?“ und „Schlechte Nachricht für strikte Ökos“ gingen durchs Netz. Fast war es unmöglich, an diesem Thema vorbeizukommen: Avocados sollen tatsächlich nicht vegan sein.
Den Anstoß für diese These gab eine Quizshow aus Amerika. Dort wurden die Teilnehmer gefragt, welche der folgenden Gemüsesorten nicht als „strikt vegan“ bezeichnet werden dürften. Die Antwort? Neben den (schlagzeilenfüllenden) Avocados, sollen auch Salat, Gurken, Kirschen, Brokkoli, Kiwis, Melonen, Butternut-Kürbisse und Mandeln „betroffen“ sein. Jap. Die Liste ist lang…
Der Erklärungsansatz der Moderatorin dazu? Für die Bestäubung der Pflanzen werden Bienen auf unnatürliche Weise benutzt, in Lastwägen von A nach B transportiert und freigelassen. Dort bestäuben sie die Felder, werden wieder zusammengetragen und zum nächsten Feld gefahren. Von artgerechter Tierhaltung kann da wohl kaum gesprochen werden, denn die Tiere werden in einem für sie unnatürlichen Umfeld gehalten und an den Menschen gebunden.
Bewusste Ernährung geht uns alle etwas an
Faktisch ist damit also alles gesagt. Denn ja, eine solche Tierhaltung kann nicht unterstützenswert sein! Und trotzdem lässt sich diese geplatzte Bombe nicht so einfach abtun. Denn hinter der Frage, ob Veganer diese Produkte überhaupt noch essen sollten, steckt doch so viel mehr. Eine Überlegung nach unserer grundlegenden Ernährungsphilosophie beispielsweise. Und warum diese Erkenntnis eigentlich nur „ein Schock für Veganer“ sein soll! Geht uns die Produktion/ der Anbau unserer Lebensmittel denn nicht alle etwas an?
Wir haben uns genau aus diesem Grund eine Ernährungswissenschaftlerin und eine Sprecherin der Tierrechtsorganisation PETA zurate gezogen, um das Thema noch ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn mal echt jetzt, so richtig in den Kontext gesetzt: Ist es wirklich so einfach zu sagen, dass Avocados für Veganer nicht (mehr) geeignet sind?!
Die Antworten beider Expertinnen fallen dabei ebenso ähnlich wie wegweisend aus! So erklärt uns Lisa Kainz, Agrarwissenschaftlerin und Fachreferentin für PETA, beispielsweise:
„In der Tat widerspricht die Nutzung von Tieren dem veganen Grundgedanken. Jedoch ist es nicht möglich, komplett leidfrei durch das Leben zu gehen. Bei der veganen Lebensweise kommt es darauf an, vermeidbares Leid nicht zu unterstützen.“
Ihrer Meinung nach gebe es oft einen einfachen Grund, warum Veganer dennoch so genau „überprüft“ werden:
„Es ist sehr einfach, Gründe zu suchen und zu finden, warum eine vegan lebende Person nicht ‚perfekt‘ sein kann. Meist wird das genutzt, um das eigene Konsumverhalten tierischer Produkte zu rechtfertigen.“
Auch die Ernährungswissenschaftlerin Daniela Elena Laubinger bezieht in der Avocado-Diskussion deutlich Stellung:
„Sich sehr bewusst zu ernähren und sich intensiv mit einer tiergrausamsfreien Ernährung zu beschäftigen ist ein starker Beitrag für die Gesellschaft. Jetzt zusätzlich auf ’starke‘ Lebensmittel wie die Avocado zu verzichten, finde ich nicht in Ordnung. Ich bin definitiv nicht der Meinung, dass es den Grundsätzen einer veganen Ernährung widerspricht.“
Frau Kainz stellt abschließend klar: „Avocados sind und bleiben per Definition vegan.“
Vegan oder nicht vegan, das ist hier… nicht die einzige Frage
Und natürlich, wie in allen anderen Lebenslagen auch, gilt: Die Entscheidung liegt bei jedem selbst. Nimmt ein Veganer also nur noch Lebensmittel zu sich, die auch ökologisch vegan angebaut werden, ist das seine eigene, bewusste Umsetzung. Doch auch beim bewussten Verzehr der genannten Gemüsesorten ist den Personen nicht der Veganismus abzusprechen. Denn wie so oft liegt das Stichwort bei dem Wörtchen „bewusst“. Verkehrt ist es nämlich nie, wachsam zu sein und den Blick umsichtig offen zu halten.
„Auch Palmöl ist beispielsweise ein rein pflanzliches Produkt. Dennoch gibt es zahlreiche Lebensmittel, die schon aufgrund ihrer Anbauweise oder ihres ökologischen Fußabdrucks vermieden werden sollten“, bestätigt auch Lisa Kainz in diesem Zusammenhang. Das betrifft auch die Avocado (und gar nicht mal zu knapp). Ganz unabhängig des veganen/vegetarischen/tierischen „Labels“.
Wir sollten uns deshalb wohl alle ein wenig an die eigene Nase fassen! Denn wie es ein veganer Freund mal ganz deutlich zusammenfasste: „Vegan bedeutet vor allem, zu versuchen, ein bisschen weniger scheiße zu sein.“
Und „ein bisschen weniger scheiße“ kriegen wir alle hin: Mit einer guten Dosis Bewusstsein, viel Rundumsicht und vor allem Eigeninitiative, anstatt erst mal mit dem Finger auf andere zu zeigen. Wo kann ich selbst etwas verändern oder tun? Wie vertretbar ist meine eigene Ernährung überhaupt?… Wäre das nicht mal ein guter Anfang?! Denn nein, Überraschung, ich selbst lebe auch nicht vegan – und gehe trotzdem (oder genau deswegen?!) sehr kritisch mit meinem eigenen Essverhalten um.