Vorab: Niemand, ich wiederhole, absolut NIEMAND hat das Recht, sich so diskriminierend, abfällig und verletzend über einen anderen Menschen, dessen Körper, Geschlecht, Herkunft oder Hautfarbe zu äußern. Das ist keine freie Meinungsäußerung, das ist das Verhalten eines unreflektierten Arschlochs. Das Diskriminierungsverbot gehört zum Kern der Menschenrechte und deswegen ist es an der Zeit, sich erneut damit auseinanderzusetzen. Um Bewusstsein zu schaffen. Und toxische Verhaltensmuster in der Gesellschaft weiter aufzulösen.
„Gott, ist DAS ekelhaft“, „Du bist abstoßend“, „Du bist faul und hässlich“.
Das sind nur einige wenige der diskriminierenden Kommentare und hässlichen Vorurteile, mit denen Übergewichtige beleidigt, gemobbt und stigmatisiert werden. Ausdrücke, die Plussize-Bloggerin Verena Prechtl (33, TheSkinnyAndTheCurvyOne.com) und ihre Kollegin Julia Kremer (31, SchönWild.de) von fremden Menschen auf der Straße, aber auch im familiären oder beruflichen Umfeld zu hören bekommen. Vom Internet mal ganz zu schweigen. Regelmäßig, ungefragt. Und dabei sind sie nur eins: zutiefst verletzend. Mit diesen Erfahrungen sind die beiden nicht alleine – weshalb sie eine Kampagne ins Leben gerufen haben, die Diskriminierende endlich an den Pranger stellt.
#RespectMySize – Ein Aufruf für mehr Akzeptanz und Vielfalt
„Ich habe gerade wieder geheult.“ So beginnt Verena das einstündige Instagram-Live-Video (hier) am Sonntagvormittag mit ihrer Freundin Julia. In den letzten zwei Wochen stellten sie gemeinsam mit weiteren InfluencerInnen die Social-Media-Kampagne #RespectMySize auf die Beine. Generell setzen sie sich schon seit Jahren für mehr Vielfalt in Medien und Gesellschaft ein und ermutigen Frauen, sich selbst zu akzeptieren und lieben zu lernen.
Es ist eine Kampagne, die die Diskriminierung von übergewichtigen Menschen und damit Menschen mit Köpern außerhalb der gängigen Schönheitsnormen aufzeigt. So erzählen die beiden Aktivistinnen nun ungeschönt, womit sie sich in ihrem Alltag herumschlagen müssen und verwandeln diese Anfeindungen in Bilder, um dem Betrachter die Augen zu öffnen. In diesem Zuge erzählen sie auch ihre Geschichte, sprechen über den Moment, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat und richten sich mit dringenden Appellen an die Gesellschaft.
Ich habe mit Verena und Julia gesprochen und bin sprachlos, geschockt, traurig und vor allem eins: wütend. Es tut weh, zu hören, wie viel Leid und Verlust von Lebensqualität durch Bodyshaming entstehen. Was sie mir erzählt, beweist erneut, wie viel Arbeit wir noch vor uns haben. Wie viel Aufklärung gegen Bodyshaming und Arbeit für Körperakzeptanz noch nötig sind. Eigentlich ist die Diskussion ja nichts Neues. Seit Jahren existieren Debatten und Proteste über Diskriminierung und Bodyshaming, mit den Hashtags #BodyLove #SelfLove und #BodyPositivity versuchen wir, auch in den Medien so lange dagegen vorzugehen, bis es endlich überall ankommt.
Der Moment, der das Fass zum Überlaufen brachte
Ausschlaggebend für die Kampagne war ein Zeitungsartikel (in „uten un Binnen„) vom 4.06.2020, in dem die Hotelbesitzerin Angelika Hargersheimer ihre besonderen Anforderungen an ihre Hotelgäste veröffentlichte, die klar aufzeigen, dass Menschen über 130 Kilo nicht erwünscht sind. Grund dafür seien hochwertige Designerstühle, dem Gewicht nicht standhalten würden. Weiterhin sagte Sie, dass sie selbst den Anblick von übergewichtigen Menschen als persönlich diskriminierend empfindet. (Anm. der Redaktion: Auf eine Anfrage von trèsCLICK wollte das niemand bestätigen.)
„Dieser Kommentar hat Verena und mich zum Nachdenken gebracht. Wie kann es sein, dass sich Menschen trauen, sich so diskriminierend öffentlich zu äußern? Es scheint komplett legitim zu sein, Bodyshaming zu betreiben. Wir haben sofort unsere Communities nach ihren Meinungen und Erfahrungen gefragt und innerhalb von 24 Stunden hunderte schreckliche Nachrichten mit persönlichen Erfahrungen bekommen. Uns wurde schnell klar: WIR MÜSSEN HANDELN!“, erzählt mir Julia.
Und auch Verena hakt hier ein: „An ihrer Aussage hat man gemerkt, dass sie alle Menschen mit einer kräftigen Statur über einen Kamm schert. Das ist schlichtweg falsch und zeigt eine große Problematik in unserer Gesellschaft. Dick ist für viele Menschen automatisch ungesund, ungepflegt, ekelhaft, faul, verfressen und undiszipliniert. (…) Wir kennen unsere Kolleginnen und unsere Communities und wir wissen, dass diese Vorurteile einfach NICHT STIMMEN! Das Traurige ist, dass viele von uns solche Kommentare und Herabwürdigungen im Alltag als normal empfinden. Diese einfach so hinnehmen und darüber hinwegschauen. Und das darf einfach nicht normal sein! Und deswegen haben wir mit unserer Aktion Vorurteile und diese erschütternden Geschichten sichtbar gemacht.“
Julia erzählt von Momenten, die einen erstarren lassen. Momente in der Disco, wenn fremde Männer zu ihrer Freundin gehen und sie fragen: „Hast du eigentlich kein Selbstbewusstsein oder wieso bist du mit deiner FETTEN, HÄSSLICHEN Freundin unterwegs?“ Klassiker-Momente wie der Arztbesuch, bei dem einem immer wieder gesagt wird, man solle einfach mal weniger essen. Auch unschön: “Für deine Figur hast du aber ein ganz nettes Gesicht.” Und noch tragischer, eine Situation auf einem E-Roller, bei dem Julia gesagt wurde: “Jetzt bewegen sich die Fetten wohl gar nicht mehr“.
Situationen, die auch Verena bekannt vorkommen:
„Ich kann mich gut an eine Situation von vor zwei Jahren erinnern, als eine Frau an mir vorbeigelaufen ist, mich angestarrt hat und sagte: „Gott, ist DAS ekelhaft.“ Die Diskriminierung dieser Menschen geschieht nicht nur auf der Straße, sondern auch im direkten Umfeld ganz leise – in der Familie und Beziehung, beim Arzt, im Fitnessstudio, in Vorstellungsgesprächen, in der Schule und am Arbeitsplatz.
Ich für meinen Teil ignoriere solche Nachrichten. Jules geht gerne auf die Leute zu und fragt nach, wieso Beleidigungen geäußert wurden.“
Das Schöne? Mit ihrem Mut stießen die beiden auf wahnsinnig viel Zuspruch. Menschen bedanken sich, weil endlich etwas angesprochen wird, wovor viel zu lange die Augen verschlossen wurden. So viele Menschen erkennen jetzt, dass sie mit dem Problem nicht alleine sind und viele wachen gerade auf und merken, dass es nicht in Ordnung ist, was sie sich ständig anhören durften.
„Wir haben viele Rückmeldungen bekommen, dass die Postings der Mädels und Jungs dazu geführt haben, dass sie sich mit Menschen in ihrem Umfeld intensiv über das Thema unterhalten und zum umdenken angeregt haben. Genau das wollten wir. Awareness“, so Julia.
Die Social-Media-Community visualisiert die Vorurteile der Gesellschaft jetzt ganz deutlich
Zahlreiche Mitglieder der Instagram-, Facebook- und Youtube-Community unterstützen die Bewegung. Es sind Plussize-, Curvy-, Bodylove- und Bodypositivity-BloggerInnen und -AktivistInnen. Und auch Menschen außerhalb der Öffentlichkeit ziehen mit. Sie unterstützten mit eigenen Postings und Aufrufen das #RespectMySize-Movement und lassen ihre Stimme zum Thema Diskriminierung endlich laut werden. Wie sie mit Vorurteilen zu kämpfen haben und wie sie beruflich und sozial ausgegrenzt werden?
Hier einige Beispiele, die Julia und Verena zugeschickt bekamen:
Dating: “Wir können gerne eine Beziehung führen, wenn du abgenommen hast.”
Shopping: “Für sie haben wir hier leider nichts, schauen sie bitte online. Fette wollen wir im Laden nicht haben.”
Familie: “Du findest erst einen Partner, wenn du schlank bist.”
Bekanntenkreis: “Für deine Figur hast du aber ein ganz schön hübsches Gesicht.”
Arzt: “Sie sollten erstmal abnehmen. Einfach weniger essen und mehr Sport.”
Fitnessstudio: “Du kannst hier doch sowieso nicht mithalten – das ist nichts für dich.”
Alltag: “Schau dir die mal an. Ekelhaft.”
Öffentliche Verkehrsmittel: Leute setzen sich nicht neben einen.
Schule: “Du bist leider in keine Gruppe gewählt worden – such dir eine aus.”
Restaurant: “Die isst doch das ganze Buffet leer.”
Job: “Du kannst leider nicht mit zum Kundentermin kommen.”
Diese Kommentare machen schon beim bloßen Lesen betroffen. Ihr könnt euch vielleicht also nur ausmalen, wie es sich anfühlen muss, wenn sie an einen selbst gerichtet sind. Wann wurde ein Mensch jemals glücklich, indem er andere unglücklich machte? Woher kommt bei gewissen Menschen überhaupt der DRANG, den Körper einer anderen Person zu kommentieren? Sollte man sich da nicht mal fragen, ob bei einem selbst irgendetwas falsch läuft?
„Ich bin NICHT ekelhaft“, „Ich bin NICHT abstoßend“, „Ich bin NICHT faul!“ – Leute, let’s do our homework!
Repeat after me: Wir alle sind nur Menschen. Wir alle haben Gefühle und sind angreifbar. Wir sind verletzlich und leiden unter Selbstzweifeln. Die fiesen Kommentare bringen nichts. Sie helfen nicht, bringen niemanden weiter, sorgen für keine Erkenntnis – sondern tun einfach nur weh und führen zu grundlegender Unsicherheit, psychischen Problemen, Krankheiten und Essstörungen. Sie befeuern einen Teufelskreis. STOPP.
Wollen wir stattdessen nicht viel lieber ein wenig mehr Liebe und Unterstützung verteilen?! Jetzt,2020, wirkt es zum ersten Mal so, als hätten wir einen Wendepunkt erreicht, an dem gewisse Themen ENDLICH überkochen. Themen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie und Diskrimierung jeglicher Art werden uns gerade mit gewaltiger Schlagkraft vor die Augen geführt. Und endlich, endlich habe ich das Gefühl, dass Veränderung da ist. Lasst uns weiter wirken, lasst uns BEwirken und lasst uns die Welt endlich so offen gestalten, dass alle in ihr das Recht haben, glücklich zu sein. Wie Verena es so simpel und doch so wahr auf den Punkt bringt: „Kein Mensch sollte aufgrund seiner Statur diskriminiert werden.“ Word.
Danke Julia und Verena für die zahlreichen Tränen, die ihr in dieses Projekt gesteckt habt. Danke für euren Mut, euch authentisch und verletzlich zu zeigen und euren Kampfgeist für Aufklärung und Veränderung. ❤️ Danke an ALLE, die sich diese Aktion zu Herzen genommen, mitgemacht, sie weitergeleitet, darüber kommuniziert haben und sich somit an der Besserung beteiligen.
x Fine #RespectMySize