Als ich vor kurzem meine Mutter in der Kleinstadt besuchte, konnte ich mein wachsendes Unbehagen schon nach wenigen Tagen kaum noch verbergen. Irgendwie schien es ganz normal zu sein, Frauen ungeniert hinterherzupfeifen, anzügliche Kommentare abzulassen oder ihnen zugewandt aus dem Auto heraus akrobatische Zungenübungen zu vollführen.
Ist an diesem Umstand aber nun die spezifische Ortschaft ’schuld‘? Meine selektivere Wahrnehmung? Oder doch die Tatsache, dass ich mir für zuhause, in der Großstadt, lediglich einen härteren Schutzpanzer antrainiert habe?!
First things first: Die Schuld trägt der Täter allein…
Was ich da in den letzten Tagen so zahlreich erleben und beobachten musste – und wofür ich aus meiner Sozialisierung heraus automatisch wieder Legitimationen zu finden versuche – war ‚Catcalling‘, par excellence.
Wobei diese harmlose Beschreibung dem ekelhaften Verhalten dahinter natürlich nicht im Geringsten gerecht werden kann. Denn all das, was da so häufig nebenbei passiert, ist der Alltag vieler Frauen. Sie werden mit Worten, Ausrufen, Gesten und Kommentaren sexuell belästigt, herabgewürdigt und angegriffen.
Und so nebensächlich es auch passieren mag, so deutlich hinterlässt doch jedes „Zu dir würde ich auch nicht ’nein‘ sagen“ seine Spuren. Immer wieder bleibt mir selbst in solchen Situationen beispielsweise kurz die Luft weg. Immer wieder fühle ich mich anschließend hilflos, gelähmt, verletzlich.
Wie reagiert man schließlich auf eine Form der Belästigung, die immer noch viel zu häufig als „Kompliment“ abgetan wird? Ignoriert man die Täter? Schreit man sie an? Schreckt man zurück oder geht lieber in die Offensive? Lässt man die regelmäßigen Einschnitte unkommentiert zu kleinen Narben werden…?
Es ist erschreckend, dass ich solche Fragen überhaupt noch stellen muss. Denn die traurige Wahrheit bleibt: Catcalling fällt unter keinen Straftatbestand. Und ist damit faktisch legal. Dürfen wir uns eben nicht so anstellen. Müssen wir uns halt weniger aufreizend kleiden. Sollen wir halt damit umgehen lernen.
ODER EBEN HALT AUCH EINFACH NICHT. Genau DAS haben wir (und viele Generationen vor uns) schließlich viel zu lange getan. Die Schuld bei uns selbst gesucht. Das Unwohlsein heruntergeschluckt. Konzentriert geradeaus gestarrt und den Schritt verschnellert. Nicht die Betroffenen sollte es aber sein, die Strategien benötigen. Die Catcaller sind es dagegen, die sich der Konsequenzen ihrer Taten bewusst werden müssen.
Eine Petition sagt Catcalling den Kampf an
Und genau dafür macht sich jetzt gerade eine Petition mit bereits über 27.000 Unterschriften stark. Darin wird ausdrücklich klargestellt: Sexuelle Belästigung beginnt nicht erst mit Körperlichkeiten und Berührungen. Auch verbale Übergriffe müssen strafbar sein. Denn mit einer Verankerung im Gesetz kann endlich auch bevölkerungsübergreifend ein Bewusstsein für „richtig“ und „falsch“ in diesem Zusammenhang entstehen. Durch Catcalls werten Männer (nicht nur und natürlich nicht alle) Frauen schlichtweg ab. Sie stellen sich über sie, betonen eine vermeintliche Dominanz und Überlegenheit. Warum sollte ein solches Verhalten jemals in irgendeinem Kontext als Kompliment gewertet werden können?!
Auch verbale Belästigung muss strafbar sein
Der einfachste Weg, um diesen Irrglauben aus der Welt zu räumen, besteht für viele darin, Catcalling strafbar zu machen. In Frankreich wird verbale sexuelle Belästigung beispielsweise bereits seit 2018 mit Geldstrafen von bis zu 750 € geahndet. Genau das tut nämlich den Verursachern weh – und schafft so vielleicht ein erstes, nötiges Bewusstsein.
Lasst uns also endlich die Maßstäbe neu setzen: Catcalls sind niemals einfach ’nett gemeint‘. Sie sind Machtdemonstrationen, die uns jedes mal wieder hilflos zurücklassen. Das darf nicht länger der Normalzustand sein. Und genau deshalb sollten wir jetzt auch alle gemeinsam zunächst eines tun: Diese Petition unterschreiben! Dabei halten wir uns abschließend an die Worte von Initiatorin Antonia Quell: Es ist 2020, Leute. Catcalling sollte endlich strafbar sein!