Which one is the real one?
„Was denkst du, welche Aufnahme zeigt die richtige Céline? – So startet die Instagram-Caption von Céline Denefleh (28). Die erste „Curvy Supermodel“-Gewinnerin ist ein international gefragtes Model und Influencerin. Auf Instagram (75.000 Abonnenten) nimmt Céline ihre Follower:innen regelmäßig mit zu ihren Jobs sowie ins Privatleben und teilt ihr sonniges Gemüt und positives Mindset. Und auch Bodylove ist ein wichtiges Thema für die 28-Jährige. In ihren Stories und Beiträgen ruft sie gerne zum Überdenken vieler alltäglicher Situationen und Gewohnheiten auf. Dabei spricht sie ehrlich über die Dinge, die sie inspirieren, motivieren oder eben auch mal richtig stören. Und über eine Sache ist Céline aktuell richtig sauer. Das wird mit der Selfie-Galerie (oben), die sie kürzlich hochlud, mehr als deutlich.
Dabei liefert das Starbild auf den ersten Blick gar keinen Grund zum Aufschrei. Mit vollen, dunkelbraunen Haaren, großen strahlenden Augen, einem perfekten Make-up und vollen Schmolllippen lächelt Céline in ihre Kamera. Ein absolutes 10/10-Social-Media-Selfie eben. Das zweite Bild der Galerie gibt allerdings sofort Klarheit darüber, was Céline uns damit aufzeigen möchte. Dasselbe Selfie zeigt Céline diesmal mit geschlossenen Haaren und einem schrägen Pony. Das danach sogar mit blonden Haaren. 😳 Erst beim Durchwischen der Bilder erkenne ich, dass das Curvy-Model eine Schönheitsfilter-App verwendet hat, die erschreckend realistisch (!!!) Célines Gesichtszüge, Augengröße, Symmetrie, ihr Make-up und sogar die Haare „optimiert“.
„Was denkst du, welche Aufnahme zeigt die richtige Céline? Was ist das echte Bild?“ – Ohne den direkten Vergleich, hätte ich das erste Bild, mit extra Haaren und dicken Schmolllippen nicht direkt als Filter enttarnt. Ich hätte das Bild nicht weiter hinterfragt.
Und ich gebe zu, auch ich bin nicht ganz unschuldig, was Bildbearbeitung angeht. Ich verändere immer die Belichtung, durch Kontraste, Temperaturen, Farbfilter und eine App, die die Haut angleicht und (wer mag) auch das eigene Make-up verstärken kann. Doch das Ausmaß dessen, was mittlerweile alles möglich ist, speziell auch bei den Instagram-Story-Filtern, die mit einem Fingerklick einen komplett technologisierten „Super Avatar“ im Internet erschaffen, macht selbst mich sprachlos. Célines Posting erinnert auch mich an meine eigene Verantwortung.
Ein Grund mehr, mich mit dem Model auf einen Tee & Talk in meiner Küche zu treffen und angeheizt über die neuesten Entwicklungen auf Social Media zu plaudern. Céline berichtet mir, dass ihr Protest gegen die so viel genutzten Schönheitsfilter durch ein neu eingeführtes Gesetz in Norwegen bestärkt wurde. Um gegen Körperkult und das damit verzerrte Körperbild von Kindern und Jugendlichen vorzugehen, müssen ab Sommer 2022 retuschierte Fotos von Influencer:innen als solche gekennzeichnet werden. Sprich, das Gesetz greift immer dann, wenn etwas am Körper, an der Haut oder an der Größe des Menschen verändert wurde. 💥
Und auch Céline möchte uns alle auf die täuschend echten Skills der Schönheits-Apps aufmerksam machen. Zeigen, welchen Schaden wir uns im Real Life selbst, aber auch unseren Mitmenschen antun, durch das Nutzen dieser Apps.
Im Gespräch erinnert sich Céline, wie sich Gesichts- und Körper-verändernde Apps wie Facetune, Faceapp und die Snapchat/Instagram-Story-Filter in unser Online-Leben geschlichen und damit das Spiel der professionellen Fotografie und Retusche massiv verändert haben. „Vor 3-4 Jahren ging es mit Facetune los. Damals konnte man die Taille schlanker machen, den Booty dicker und die Zähne weißer retuschieren. Es war oft erkennbar, dass jemand mit diesen Tools nachgearbeitet hat„. Natürlich gab es keinen Stillstand in der Entwicklung.
Diese Apps haben sich massiv in ihren Sklills weiterentwickelt, sodass sie mühelos den Menschen nach den geltenden Schönheitsidealen online anpassen können. Haarfarben, Haarlängen, Frisuren, thematisierte Make-ups verändern das Foto, je nach gewünschtem Intensitätslevel. Und nicht nur das, die ganzen Gesichtszüge werden optimiert: Gesichtslänge, Kinnbreite, Nasenflügel, Augenabstand und Stirnlänge werden symmetrischer gezogen. Die Augen vergrößert, aufgehellt und symmetrisch harmonisiert. Die Lippen bekommen eine virtuelle Unterspritzung und reine, glänzende Haut gibt es auch noch dazu. Diese Apps arbeiten so gut, dass ihre Fotobearbeitung oft gar nicht direkt ersichtlich ist. Und genau deswegen gehen nicht nur bei Céline die Alarmglocken an.🚨
Auch wenn sie ehrlich ist und mir erzählt, dass es auch bei ihr Momente gab, in denen sie diese Apps genutzt hat. Von ihren 1400 Instagram-Bildern sind rund 20 Fotos einer Filter-App durchlaufen – das letzte war vor 1, 1-5 Jahren. „Ich hatte danach immer ein schlechtes Gewissen und bin schnell wieder davon abgekommen. Es war mir peinlich und unangenehm. Ich stehe für Authentizität ein, so zu sein, wie man ist.“ Durch diese Erkenntnis hat Céline ihren eigenen Prozess der Selbstwahrnehmung für sich selbst deutlich mehr angenommen und auch in ihrem Instagram-Auftritt immer mehr integriert. Dabei war auch ihre kleine Schwester ein wichtiger Schlüsselreiz.
„Ich habe eine kleine Schwester, die ist 15 Jahre. Diese Apps wie Facetune und Faceapp, aber auch die immer mehr steigenden Menge von Schönheitsoperationen, haben sie so stark beeinflusst, dass sie jetzt auch einen riesigen Booty, zeitgleich eine schmale Taille und einen flachen Bauch haben möchte. Und am besten dazu noch schöne große Brüste. Ohne Filter fühlt sie sich nicht mehr schön.“ Céline pausiert kurz, bevor sie nachlegt. „Meine Schwester ist wie viele Andere in der Entwicklungsphase, sie ist verunsichert und hat kein großes Selbstbewusstsein. Dadurch habe ich erst richtig angefangen zu hinterfragen, was wir selbst mit dem Nutzen dieser Filter Schlimmes fördern!“
Besonders bei Jugendlichen erzeugen „optimierte“ Fotos ein verzerrtes Körperbild, sie setzen viele unter Druck und fördern Depressionen. Und sind wir ehrlich, auch bei Erwachsenen löst diese „perfekte Version“ ihrer selbst kein gutes Selbstwertgefühl aus. Deswegen war für Céline eins klar: „Wenn ich ihr ein besseres Selbstvertrauen beibringen möchte, muss ich ein Vorbild sein.“
Ich verstehe sehr, was Céline uns sagen möchte. Klar spielt hier auch die Eigenverantwortung des Konsums eine wichtige Rolle, doch das geht nur, wenn auch wir in Deutschland diese gesetzliche Kennzeichnung der bearbeiteten Fotos haben. Céline bringt einen guten Vergleich:“ Das Nutzen dieser Apps sollte wie bei den Warnhinweisen der Zigarettenschachteln gekennzeichnet werden. Social-Media-User:innen müssen wissen, was dahintersteckt! Auch wenn ich ein Fertigprodukt konsumiere oder Süßigkeiten, bin ich mir aufgrund der betitelten Angaben ganz bewusst, welche Inhaltsstoffe ich mir in diesem Fall antue. Ohne diese Information fehlt die Kenntnis. Wie bei Zigaretten müsste unter jedem Bild stehen: ‚Sie können einen mentalen Schaden aufgrund der Bearbeitung erleiden – Die Darstellung entspricht nicht der Realität!‘ oder ‚Achtung! Der Inhalt kann psychische Verletzung des Konsumenten erzeugen.’“
Nicht nur auf Social Media, sondern auch bei der Fashion-Fotografie, Werbung und in Hollywood findet Céline die Kennzeichnung wichtig. “ Wie wäre es mit: ‚Achtung, das Model wurde mit Extrahaar, Make-up und Photoshop aufgestylt!‘„
Als wäre ein geschädigtes Selbstwertgefühl der heranwachsenden Generationen nicht schon alarmierend genug, sieht Céline eine weitere Gefährdung der „Schönheits-Apps“. Nämlich die enorme Gefahr der Sexualisierung. „Diese Filter machen uns kindlich – stellen uns jung und rein dar. Kleine Stupsnäschen, volle Lippen, alles wird glatt gezogen, es darf kein Haar mehr zu sehen sein, außer auf dem Kopf, keine Pickel, nichts … so sahen wir alle vor der Pubertät aus! Diese puppenhafte, unschuldige, heiß aufgestylte Darstellung sexualisiert uns alle und geht auch in eine Pädophilen-Richtung, über die wir uns klar werden müssen.„🚨
Wie heißt es so schön: Sex sells. „Schau dir selbst mal auf Instagram an, welche Accounts viele Follower:innen haben. Es sind größtenteils die, auf denen hauptsächlich sexy Unterwäsche- oder Bikinibilder, also viel nackte Haut und Sexyness, gezeigt werden. “ Céline legt ehrlich nach. „Ich habe meine Follower nur deswegen bekommen, weil ich auch die ersten 1-2 Jahre nur Bikinibilder gepostet habe. Damit habe ich auch damals meine persönlichen Ansichten meinen Werten untergeordnet.“ Dabei hat sich Céline eher in der typischen „Bodylove“- Bildsprache dargestellt. Das war der heute 29-Jährigen schon immer wichtig. „Ich wollte keine Wichsvorlage sein, sondern Menschen seelisch erreichen und ihnen Mut machen, anstelle sie über Gefaktes einzuschüchtern“.❤️
Die Art und Weise, wie wir für die Kamera und Zuschauer:innen posieren, ist für Céline im Wesen auch ein Filter der Realität! Der Bauch wird meist eingezogen und gemeinsam mit dem restlichen Körper in eine schöne kurvige, weiche Silhouette hineinposiert. „Mein Bauch ist nicht so, wie ich ihn gern hätte, er ist meine – ich mag das Wort eigentlich gar nicht benutzen – Problemzone. Dabei ist ja in diesem Fall mein Kopf die Problemzone, nicht mein Bauch! Doch weil ich ständig Millionen von Instagram-Fotos sehe, auf denen die Mädels ihre Kurven und Rundungen betonen und hervorheben, parallel aber einen superflachen Bauch haben, denke auch ich manchmal, dass ein flacher Bauch das einzige Schönheitsideal sei.“
Ich glaube, jede Frau mit einer größeren Konfektionsgröße kennt das angesprochene Problem. Überwiegend wird die Sanduhrfigur als Idealkörper für kurvige Frauen gefeiert. Aber bitte nur so, dass lediglich der Po und die Brüste groß und prall sind. Die Wölbung am Bauch wird ungern realistisch gezeigt. „Dabei ist dieser Bauch normal! Und da hilft es, sich darüber klar zu sein, dass hier viele mit Apps nachhelfen, aber auch durch Schönheitsoperationen – Stichwort Kardashians und Brazilian Lift – diesen Körper erst erreichen.(…) Wir müssen diese Tabu-Themen ansprechen! Dieser Bauch gehört zu uns!“
Um zu verstehen, wie gang und gäbe Filter schon in unserer Gesellschaft sind, hat Céline bei Instagram-Storys von Kolleg:innen auf den angezeigten, verwendeten Filter gedrückt und sie verwendet, um an sich selbst festzustellen, was die Girls und Boys da so als gesichtsverändernde Apps nutzen. „Ich bin immer richtig schockiert, wenn ich die eigene Veränderung sehe. Wenn ich mir dann auch das Profil anschaue, sehe ich keinen Unterscheid zu der Story. Alle Bilder wurden stark und unauffällig bearbeitet und mein Gehirn hat die Person mit dieser Optik, diesen Filtern abgespeichert. Das ist erschreckend und traurig, denn wenn ich sie in Real Life treffe, sind sie wunderschöne natürliche Menschen, die aber nicht ihren Online-Auftritt widerspiegeln.“
Auf die Frage, wie wir aus ihrer Sicht besser mit uns selbst und der Umwelt umgehen sollten, antwortet Céline: „Eigentlich ist es ganz einfach, wir sollten andere Qualitäten hervorheben.“ Wenn sie z. B. mit Kindermodels am Set arbeitet, sagt sie ihnen nicht, wie süß und schön sie aussehen, sondern lobt ihre Charakterstärker, oder die Talente der Kinder. Célines Vater hat früher immer zu ihr gesagt, dass sie nicht so oft in den Spiegel schauen solle. Heute versteht sie, was er damit gemeint hat.“Wenn wir unsere Kinder schon jung damit programmieren, ’schön‘ auszusehen, wird sich das bis ins Erwachsenenalter ziehen. Sie werden immer Bestätigung und Liebe durch äußere Schönheitsideale erfahren.“
Sich selbst bezeichnet Céline als sensibel, da sie ganz genau versteht, weshalb das Nutzen dieser Filter so beliebt ist, welcher soziale Druck und welcher auszufüllende Mangel dahintersteht. „Selbstliebe“ finden wir in uns selbst und das ist natürlich ein langandauernder, bewusster Prozess. Mit einem Filter und viraler Aufmerksamkeit, kommt das wohltuende Gefühl natürlich auf Knopfdruck. „Ich verstehe, dass man so aussehen möchte, die Bestätigung haben will. Wir haben alle ein kleines Kind in unserem Herzen, dessen Ego täglich hören möchte, wie schön man selbst ist. Dabei ist es doch unsere Superpower, so individuell auszusehen, wie wir das tun.“ 🙏
Wer sich gerade selbst dabei erwischt, aus dem Hamsterrad der Schönheitsfilter ausbrechen zu wollen, für den hat Céline folgende Tipps: „Fragt euch ‚Woher kommt das denn‘?„ Klärt mit euch selbst, ehrlich und voller Respekt für alle (!!!) Gefühle, woher das Bedürfnis kommt. „Das ist eine sehr schwierige und intime Frage, die für jeden individuell zu beantworten ist. Doch wenn uns gelingt, das eigene Verhalten zu hinterfragen, können wir in eine Heilung gehen und ausbrechen.“ Gleichzeitig kann man sich als Motivation für den „Filter-Ausstieg“ 👏 über die eigene Verantwortung bewusst werden. „Stellt euch vor, ihr habt eine kleine Schwester. Fragt euch, wie ihr sie auf die Welt vorbereitet und seid ein Vorbild für sehr sehr sehr viele Menschen, die in der Findungsphase stecken.“
Zum Abschluss des Interviews fügt Céline hinzu: „Unsere größte Aufgabe ist es, erst einmal das Urvertrauen in unseren Körper zu finden und in uns hineinzuhören. Ich habe mich z. B gefragt, wieso ich eine Zeit lang unbedingt einen flachen Bauch haben wollte, habe sogar auch über eine Fettabsaugung nachgedacht. Doch dann habe ich mich damit auseinandergesetzt, woher dieser Gedankengang, das unwohle Gefühl in mir kommt, welche Instagram-Kanäle ich in letzter Zeit viel konsumiert habe, oder worin generell mein Fokus lag. (…) Arbeitet lieber ein bisschen an eurer Psyche, legt das Handy weg, geht mehr raus in die Natur und genießt das Real Life. Das Leben ist ohne Instagram-Filter so viel schöner und vor allem ist das Leben, hinter Instagram und Co., das echte Leben und richtig lebenswert.“ 😍
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Danke Céline an dieser Stelle. Keep on shining.✨
x Fine