Vorgegebene Bezeichnungen können einschränken oder in Schubladen stecken. Ganz klar. Nicht immer sind Kategorisierungen für einen offenen Diskurs also förderlich. Manchmal dafür aber umso mehr. Denn Bezeichnungen können auch Raum geben, Zugehörigkeit schaffen und uns dabei helfen, eigene Empfindungen besser einzuordnen.
Wenn es um das Thema unserer Sexualität geht, zum Beispiel. Niemand muss sich dabei selbst einen Stempel geben – oder von außen geben lassen. Und doch kann ein offizieller Begriff vielen dabei helfen, abstrakte Gefühle greifbar zu machen. Für uns selbst und für andere. Und je offener damit umgegangen wird, desto gewöhnlicher, verständlicher werden sie innerhalb einer Gesellschaft auch.
Einer dieser Begriff ist der der Demisexualität. Nicht alle haben davon wohl schon mal gehört. Umso wichtiger also, darüber zu sprechen. Denn auch dahinter versteckt sich eine Art zu lieben, die vielen da draußen (wenn auch unbewusst) vielleicht sogar bekannt vorkommen dürfte. Und wer weiß, vielleicht hilft die Definierung ja dem ein oder anderen, sich freier in seiner Entfaltung zu fühlen?
Sexualität ist nicht nur Schwarz oder Weiß
Denn bei dieser Art von Sexualität geht es vor allem um das „Wie“. Auf das „Wen“ kommt es weniger an. Es bezeichnet einen Zwischenbereich, hin zur Asexualität, bei der sich die körperliche Anziehung zu anderen Menschen langsam aufbauen muss. Demisexuelle empfinden erst dann Lust und Verlangen, wenn sie sich emotional stark verbunden mit ihrem Gegenüber fühlen. Heißt also: Kein lustvoller Sex ohne Gefühle. Keine sexuelle Anziehung ohne Verbundenheit.
Höchste Zeit, über all die Graustufen zu sprechen
In Zeiten unverbindlicher Affären und stolz gezählter One-Night-Stands, fühlt es sich beinahe falsch an, viel Zeit zu brauchen. Nicht sofort von einer erotischen Spannung gepackt zu werden.
Genau diese Befürchtung,“nicht richtig“ zu sein, kann zu Unsicherheiten und Selbstzweifeln führen. Oder im schlimmsten Fall dazu, Sex zu haben, obwohl die Lust darauf fehlt. Viele halten sich deshalb oft selbst für weniger triebhaft, prüde oder desinteressiert. Dabei lassen sich Demisexuelle nicht „einfach nur zu wenig drauf ein“ oder „schalten nicht genug den Kopf aus“. Sie sind viel eher eine der zahlreichen Grauschattierung, irgendwo zwischen sexuell und asexuell, in einer Welt, die nur Schwarz-Weiß zu verstehen scheint.
Niemand sollte sich also schlecht fühlen, weil One-Night-Stands uninteressant sind. Weil der Sex mit Fremden lustlos bleibt. Oder weil es eine Weile dauert, um sich zu jemandem hingezogen zu fühlen. Niemand sollte sich den Druck machen, ‚Spaß‘ haben zu müssen. Im Spektrum der Demisexualität resultiert das eine eben aus dem anderen. Lust aus Liebe. Nähe aus Vertrauen. Und nicht andersherum.
Verliebt in den Menschen – nicht in die Anziehungskraft
Diese Empfindung kommt aus der reinen, ganz eigenen Körperlichkeit heraus. Es steckt keine Überzeugung dahinter. Auch kein Einfluss oder Zwang von außen. Wer demisexuell ist, kann keine Lust empfinden, so lange die menschliche Bindung fehlt. Easy as that. Sollte man jedenfalls meinen…
Die Art der Anziehung ist einfach nur eine andere. Nicht sexuell oder körperlich, sondern auf Gemeinsamkeiten und Werten beruhend. Weil es dieses Schwarz-Weiß-Denken zwar immer noch gibt, es aber keineswegs mehr zeitgemäß ist. Oder jemals war. „Bock haben oder keinen Bock haben“ ist eben NICHT die Frage. Sexualität und Asexualität können verschiedene Ausprägungen haben – und sich bei verschiedenen Menschen unterschiedlich äußern.
Wichtig ist und bleibt daher: Wer (wortwörtlich) keine Lust dazu verspürt, intim zu werden, der sollte sich auch nicht dazu genötigt fühlen. Und wer mehr Zeit braucht, der soll sich die auch nehmen. Die eigene Lust ist ein weites Feld. Nutzen wir sie also genau so, wie wir uns mit ihr am wohlsten fühlen.