Eine halbe Milliarde. 500 Millionen. So viele Kleidungsstücke sind es, die aktuell schlicht und einfach übrig bleiben. Was mir schon beim Ausschreiben das Herz bricht, hat einen naheliegenden Hintergrund: Der Einzelhandel leidet unter den Schließungen zur Eindämmung des Coronavirus. Und obwohl wir die Maßnahmen selbstverständlich unterstützen, leiden auch wir bei diesen Worten natürlich ein wenig mit.
All die schönen Kleidungsstücke, die einfach niemand haben will. All die neuen Teile, die plötzlich Last Season sind. Es ist ein schnelllebiges System, in dem wir uns da bewegen – zu schnell für meinen Geschmack, nicht nur in Pandemiezeiten. Textil-Händler*innen haben schlichtweg mehr Ware im Angebot, als während des Lockdowns gekauft werden kann. Hosen, Pullover, Schuhe und Mäntel – sie alle bleiben im Laden hängen… und gelten schon jetzt wieder als unverkäuflich.
Jedenfalls dann, wenn man sich die Zyklen der Mode mal genauer anschaut. Ein Trend jagt den nächsten. Bereits im Spätsommer hängen andere Kleidungsstücke auf der Stange, als noch zu Beginn derselben Jahreszeit.
Greenpeace befürchtet, dass der geringe Verkauf nun in einer großen Vernichtungswelle enden könnte. Denn die Läden brauchen spätestens nach dem Lockdown wieder Platz für neue Kollektionen – so falsch das auch klingen mag. Was im Super-Sale also nicht verkauft werden kann, wird sehr wahrscheinlich verbrannt. Weil das schlichtweg günstiger ist, als die Ware zu spenden. Unternehmen sparen sich mit der Vernichtung nämlich die Umsatzsteuer… und JA, wir können gar nicht so viel naschen, wie wir kotzen möchten.
Ein übersättigtes System am Limit
Es ist genau diese Schnelllebigkeit und falsche Priorisierung, die mit der jetzigen Ausnahmesituation sichtbar wie nie an ihre Grenzen kommt. Wie absurd ist es schließlich, Millionen von Kleidungsstücke zu vernichten, während man damit buchstäblich die ganze Welt einkleiden könnte?! Wie absurd ist es, Rohstoffe zu vernichten und Arbeitskräfte auszubeuten, wenn niemand die ganzen Massen jemals tragen kann…?
Braucht wirklich jede*r von uns in jeder Saison ein Fast-Fashion-Update im Kleiderschrank?
Die Greenpeace-Konsumexpertin Viola Wohlgemuth fordert von der Branche daher ein strukturelles Umdenken: Die Corona-Krise könne so zur Entwicklung von Geschäftsmodellen genutzt werden, die einer Verschwendung von Ressourcen vorbeuge und keine falschen Bedürfnisse mehr schüren würde, heißt es dazu von Seiten des ZDFs.
Fast Fashion bleibt hängen
Wäre das nicht mal ein großartiger Schritt? Nicht nur für die Arbeiter*innen im Herstellungsprozess, sondern auch für die Umwelt – und die Unternehmen selbst? Fast Fashion muss nun mal langsamer werden. Früher oder später. Mit einem lauten Knall (wie gerade) oder eben nachhaltig und durchdacht.
Dafür müssen längst nicht nur wir als Konsument*innen unser Kaufverhalten ändern. Gerade der Einzelhandel sollte auf eine minimiertere Auswahl setzen – und so einer Überproduktion gezielt entgegenwirken. Trend- und Zukunftsforscher Tristan Horx sieht darin bereits eine mögliche (positive) Entwicklung der aktuellen Zeit: „[Die Corona-Krise] führt zu einer Entschleunigung im Konsumverhalten. Durch das kollektive Pausieren des Überkonsums verschieben sich unsere Prioritäten von Quantität zu Qualität“, zitiert ZDFwiso.
Alright. Weil es eben keine 20 neuen Kollektionen im Jahr braucht. Und weil nie wieder eine halbe Milliarde Kleidungsstücke vor der sicheren Vernichtung stehen sollte. Bereits produzierte Kleidung ist niemals zu viel. Auch dann nicht, wenn sie im Laden hängenbleibt. Viel mehr darf es erst gar nicht zu dieser Überproduktion kommen müssen. Können wir dieses ungesunde System bitte dahingehend verändern? Danke schöööön!