Aktuell überschlagen sich die Nachrichten über das wehenfördernde Mittel Cytotec. Das Medikament, das eigentlich zum Magenschutz dient, wird in vielen Krankenhäusern gerne zur Geburtseinleitung eingesetzt. Dass es dabei zu schlimmen Geburtsschäden bei Mutter und Kind und sogar Todesfällen kommen kann, wird jetzt publik. Im Zuge eines Gerichtsverfahren für ein Verbot von Cytotec, klagt eine Mutter an, dass ihr Kind wegen der viel zu starken Wehen schwere Geburtsschäden davongetragen hat. Der heute Achtjährige wird sein Leben lang behindert sein. Und ihre Geschichte ist leider kein Einzelfall, wie viele Frauen aktuell berichten. Auch ich habe Cytotec eingenommen, weil mein Sohn „überfällig“ war und ich kann es niemandem empfehlen.
Meine Geburt mit Cytotec – ein echtes Risiko
14.01.2018 – das sollte eigentlich das Geburtsdatum meines Sohnes Malo sein, doch genau wie heute, ist der Kleine auch da schon eher gemütlich (zumindest, was das Aufstehen betrifft) und lässt sich Zeit. Insgesamt fünf Tage. An sich kein Problem – wenn es um ’natürliche‘ Schwangerschaften geht. Bei uns war es ja allerdings eine astreine Laborschwangerschaft (alle Infos zu meiner IVF-Story hier) und da stehen die Dinge etwas anders. In der Kurzfassung: Weil man hier genau weiß, wann die Befruchtung stattfand und insgesamt etwas vorsichtiger rangeht, hieß es ab dem 18.01.2018: Ding, dong, kleiner Mann – bitte rauskommen. Die erste freundliche Aufforderung mit dem Rizinus-Wehen-Cocktail brachte zwar die Fruchtblase zum Platzen, wurde aber von dem kleinen Mann gekonnt ignoriert und im Parterre bei mir tat sich – genau – NICHTS.
Dann wurde mir Cytotec angeboten und ich wurde – anders, als es wohl in vielen anderen Krankenhäusern der Fall sein soll – darüber aufgeklärt, dass es ein Off-Label-Medikament, also NICHT für den Zweck der Wehenförderung zugelassen ist. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon 24 Stunden im Krankenhaus, hatte eine Nacht im Kreißsaal verbracht und hatte Panik, da bei künstlichen Befruchtungen nicht empfohlen wird, den Geburtstermin so weit zu überschreiten. Also sagte ich „ja“ zu der kleinen Tablette, die so gerne eingesetzt wird, weil sie viel günstiger als andere Wehenförderer ist und das einzige Mittel dieser Art, das man einfach im Tablettenform schlucken kann.
Dann wurde ich zurück aufs Zimmer geschickt und sollte mich in zwei Stunden wieder im Kreißsaal melden. Fünf Minuten später holte mir mein Mann unten in der Kantine ein Malzbier, weil ich schon völlig kaputt war. Als er zurückkam, öffnete ich ihm auf allen Vieren die Tür und schrie nur: „LOSSSSS!!! Losss!!!!“ Also direkt in den Kreissaal und statt ein „Halleluja, es geht los“, kam mir nur ein „PDAhhhhhhh, bitte!“ über die schmerverzerrten Lippen. Was war da los? Ich versuchte die Schmerzen wegzuatmen, aber sie waren sooo stark, dass sich gar nicht mehr atmen konnte.
Der Wehensturm ist gefährlich für Mutter und Kind
Das ist der Wehensturm, vor dem Ärzte und sogar der Pharmakonzern Searl schon vor zwanzig Jahren (!!!) warnten: „Zu den schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen, die nach der Off-Label-Anwendung von Cytotec bei schwangeren Frauen gemeldet wurden, gehören der Tod der Mutter oder des Fötus; eine Überstimulation der Gebärmutter, Ruptur oder Perforation der Gebärmutter“, hieß es damals in einem Schreiben an Ärzte. Das weiß ich jetzt. Während der Geburt wundere ich mich nur darüber, dass andere Freundinnen von mir, bei denen nicht eingeleitet wurde, von Schwebezuständen und Glückshormonen, die den Körper durchfluten, erzählen und ich einfach nur denke: „SCH****, wann hört das endlich auf!?“ Heute weiß ich, warum, denn so schnell und heftig bauen sich natürliche Wehen nicht auf. Und: Neben dem wehenfördernden Oxytocin fehlte bei mir leider komplett das Glückshormon Endorphin.
Ich bin für gewöhnlich niemand, der ungefragt mit schlauen Ratschlägen daherkommt, aber: Fragt mich eine schwangere Freundin, ob ich zur Einleitung raten kann oder, wenn es der Zustand von Mutter und Baby zulassen, lieber warten würde mit der Geburt, sage ich ganz klar: Warten! In meinem Freundeskreis habe ich das Glück, sehr viele Frauen zu haben, die sehr offen sprechen und alle, die mir von einer Geburt mit Einleitung durch Cytotec berichten, haben erschreckenderweise fast das Gleiche erlebt, wie ich. Das kann doch kein Zufall sein?! Es scheint, also würden verdächtig viele Geburten – hat man einmal eingegriffen – den gleichen Teufelskreis nehmen.
Das wird knapp
Zurück in den Kreißsaal: Die PDA schaffte Erleichterung und ich sammelte kurz Kraft und dann ging es in den Endspurt, denn unser Baby war unter Stress, wie die Herztöne zeigten. Ich sollte pressen so fest ich konnte. Die Hebamme sagte, wenn es jetzt nicht klappt, bekomme ich einen Notkaiserschnitt. WAAASSS? Ok, alle Kraft voraus. Aber es reichte nicht ganz und es kam auch noch eine Saugglocke zum Einsatz. Als Malo endlich da war, freute ich mich so unfassbar, dass mir fast entging, dass der Arzt plötzlich Nadel und Faden auspackte. Auch das noch …
Versteht mich bitte nicht falsch, starke Schmerzen, ein Fast-Notkaiserschnitt, eine PDA, schwache Herztöne, eine Saugglocke und genäht werden müssen, ist alles nichts im Vergleich zu echten Geburtsschäden oder gar dem Versterben von Mutter oder Kind. Deshalb bin ich unendlich dankbar für den ganzen Weg zu meinem Malo. Aber mein Gefühl und die Stimmen anderer Mütter sagen mir, dass es ohne Cytotec besser gelaufen wäre. Erst heute weiß ich: Hoch dosiert kann Cytotec auch zur Abtreibung eingesetzt werden. Obwohl das Medikament für die Geburtsmedizin nie zugelassen wurde, verwendet – einer bisher unveröffentlichten Umfrage der Universität Lübeck zufolge – die Hälfte der deutschen Kliniken Cytotec zur Einleitung der Geburt. Diese Anwendung ist im Rahmen der ärztlichen Therapiefreiheit zulässig. Im sogenannten „Off-Label-Use“, wie der BR berichtet.
Auch Behörden anderer Länder warnen explizit vor dem Einsatz von Cytotec in der Geburtshilfe, wie Recherchen des BR ergaben. Die französische Gesundheitsbehörde ANSM veröffentlichte mehrere Warnbriefe. In einem heißt es, das positive Risiko-Nutzen-Verhältnis von Cytotec zur Geburtseinleitung sei nicht bewiesen. Auch die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA warnt Frauen seit Jahren vor schwerwiegenden Komplikationen wie einem Gebärmutterriss oder dem Todesrisiko von Müttern und Babys.
Wie viele andere Betroffene verfolge ich das Gerichtsverfahren sehr interessiert und bin einmal mehr dankbar, dass bei uns alles am Ende doch gut ausging. In meinem Freundeskreis gibt es aktuell drei Schwangere, die in wenigen Wochen ihre Babys zur Welt bringen werden. Hoffentlich ohne Cytotec.