Höher, schneller, weiter? Nee, eher, süßer, satter, müder: Wenn es um Babys geht, geht es ans Vergleichen. Wer läuft zuerst, wer spricht zuerst und wer schreit am wenigstens, sind dabei aber nicht die Hauptthemen, wie ich als junge Mutter erfahren musste. Es geht eher um die eine Frage: Wer hat den längsten … Schlaf. Ja-ha! Die Lieblingsdisziplin in der Mütter-Olympiade dreht sich um die Nachtruhe der Babys. Und ich drehe durch!
„Oh, süßes Baby!“ „Schläft er schon durch? “ Äh, nein, er ist erst zwei Wochen alt und überhaupt erst Mal ‚Hallo‘, das ist Malo und ich bin seine (verdammt müde) Mama und und will am liebsten gerade gar nicht sprechen. Und, wenn dann sicher nicht über letzte Nacht. Viele Sachen haben mich als frisch gebackene Mama echt überrascht – dieses Surfbrett soll ich mir in die Netzunterhose legen? Ach, ich stille nicht mit Pausen, sondern pausenlos? Und aha, tagsüber schläft er vier Stunden am Stück und nachts maximal zwei –aber nichts hat mich mehr geschockt, als die Obsession mit dem Baby-Schlaf: Wildfremde Menschen wollen wissen, wie der Kleine so schläft, meine Mutter fragt auch direkt und meine alte Bekannte ebenfalls. Ich hätte mich irgendwann auch nicht mehr gewundert, wenn meine Grundschullehrerin angerufen hätte, um sich zu erkundigen, ob wir nachts alle schön gemütlich am Kissen lauschen.
Müdigkeit, Stresshormone und die ständige Fragerei
Klingt absurd, aber es ist wirklich gar nicht mal so weit hergeholt bei dem Kult, der ums Durchschlafen gemacht wird. Generell bin ich ein Mensch, der sich nicht viel mit andern vergleicht oder rüberschielt. Doch die Müdigkeit, Stresshormone und das ständige Nachfragen, machten mich beim Thema Babyschlaf bald durchlässiger als eine Mullwindel. Dazu kam noch, dass scheinbar alle Babys in meinem Umfeld durchzuschlafen schienen. „Ja, klar, meine Anna habe ich gestern wieder um 19 Uhr ins Bett gelegt und dann hat sie sich erst um 7 Uhr morgens gemeldet!“, „Der Otto, so brav, hat heute Nacht gar nichts von sich hören lassen – wir haben schon nachgeschaut, ob er überhaupt noch atmet!“ – ha, ha, ha!“ Ha, ha, ha – seeehr lustig.
Ein Buch, das Rettung bringt
Aussagen, wie diese bringen direkt zwei Probleme mit sich: Erstens: Sie werden immer, wirklich immer (!!!) ungefragt erzählt und meiner Erfahrung nach vor allem gerne an Mütter mit Augenringen im Panda-Style adressiert und zweitens: Sie erzählen oft nur die halbe Wahrheit. Dazu gleich mehr, bevor ich mich ganz echauffiere, muss ich einmal kurz die Wissenschaft zu Wort kommen lassen:
In dem seeeehr empfehlenswerten Buch „Schlaf gut, Baby!“ von Nora Imlau, wird einmal offen gelegt, wieviele Babys tatsächlich regelmäßig durchschlafen: 5 %. In Worten: Fünf Prozent. Ha! Ebenfalls wird auch erwähnt, ab welchem Alter man mit regelmässigen sehr ruhigen Nächten rechnen kann: Ab drei Jahren aufwärts.
Leider entdeckte ich das Buch relativ spät und war schon echt genervt: Von anderen Muttis, mir selbst und – super schlimm – sogar von meinem Sohn. JA, WARUM SCHLÄFT ER DENN NICHT EINFACH MAL – VERDAMMT. MUSS JA NICHT GLEICH EINE GANZE NACHT SEIN, SONDERN 6 STUNDEN – DAS IST MEDIZINISCH GESEHEN JA SCHON DURCHSCHLAFEN UND WÜRDE SCHON REICHEN. Ich schreibe ja immer noch mit Hochstelltaste. Moment!
Aha, das ist also das Problem
Das Thema regt mich eigentlich nicht mehr so auf, aber gerade gestern wurde mein Wut wieder aktiviert: Ich war mit einer anderen Mutter unterwegs, die mir erzählte, dass ihr 1,5 Jahre alter Sohn, eigentlich immer super geschlafen hatte, doch seit neuestem träumt er wild, schreit auf und liegt ab 2 Uhr nachts wach. Mitten im Gespräch treffen wir eine Bekannte von uns, die wirklich aussieht wie ein Zombie auf zwei Beinen (The Walking Dead ist nicht dagegen – GAR NICHTS!) und ihre auch 1,5 jährigen Zwillinge schiebt und ihr Kleinkind im Schlepptau hat. Alle krank, also ohne Kita-Hilfe und sie erzählt, dass sie sich zwischenzeitlich gar nicht mehr vorstellen konnte, je wieder zu arbeiten, weil mit dem Schlaf alles so schlimm war. Und dann, zack, Auftritt der anderen Mutti: „Oh das tut mir leid. Also meiner schläft schon immer durch!“ What? Warum? Das stimmt doch nicht! Du hast doch eben gerade etwas ganz anderes erzählt. Und selbst, wenn: Warum sagst du das jetzt. Ich bin sprachlos. Fassungslos. Wütend. Und erkenne, dass mein lange gehegter Verdacht echt stimmt:
Zum Thema Babyschlaf wird auch ordentlich viel gelogen. Manche machen es vielleicht nicht mal mit Absicht, vergessen vielleicht morgens schon wieder, dass sie nachts geweckt wurden. Oder empfinden, die Unterbrechung in der Nacht nicht so schlimm, da eh alle zusammen im Familienbett kuscheln. Oder: Sie gehören tatsächlich zu den glücklichen 5 %, deren Kinder kleine Schlafeulen sind. Das ist echt schön, aber bindet es doch nicht jedem auf die Nase. Ich erzähle doch auch nicht: Boah Leute, gestern, da ich einen Deal für 10.000 Euro abgeschlossen. Trommel, trommel! Denn das ist nichts anders als blöde Angeberei.
Happy End für alle Moms
Mein Sohn ist aktuell über zwei Jahre und hat mittlerweile schon viele Nächte durchgeschlafen. Auch mehr als sechs Stunden am Stück. Aber es gibt immer wieder Phasen, in denen er krank ist oder sich in seinem Bett einsam fühlt und einfach kuscheln will (aua, Pipi, kalt – kennen wir alle) oder die Windel hat nicht dicht gehalten oder Durst oder oder oder. Aber insgesamt sind wir ein Super-Traumpatrouillen-Team, denn ich habe verstanden, warum Malo sich nicht jede Nacht, wie ein kleiner Mehlsack im Bett ablegen lässt und sich nicht erst nach 12 Stunden wieder meldet. Anstrengend ist das natürlich trotzdem noch oft, aber man wächst ja bekanntlich mit seinen Aufgaben. Und ja, der Satz, dass das Lächeln am Morgen einen für alles entschädigt, stimmt tatsächlich.
Apropos Lächeln: Das ist genau das, was ich mache, wenn ich mal wieder ungefragt mit Schlafgeschichten von Super-Babys belästigt werde. Ich brauche meine paar übrigen Gehirnzellen einfach für wichtigere Themen: Zum Beispiel, um meiner Mama-Freundin, die eine schlaflose Nacht hatte, Blumen zu schicken.