Als ich am Dienstagabend, einen Tag nach dem Attentat in Manchester, auf dem Rückweg von der Arbeit zur Bahn lief, dachte mein Kopf zum ersten Mal im Leben Dinge, von denen ich so gar nicht wollte, dass er sie denkt. Man muss dazu sagen, dass ich grundsätzlich ein Mensch bin, der Sätze, die mit „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber“ anfangen, verabscheut, lieber Menschen zu viel Vertrauen als zu wenig schenkt, das meiste verzeiht und das wenigste übel nimmt.
Deshalb machte es mich irgendwie stutzig, irgendwie fertig, dass mir beim Anblick einer vollverschleierten Frau, die mir über den Weg lief, tausend Fragen durch den Kopf schossen: Wieso distanzieren sich Menschen nicht von Religionen, wenn diese teilweise – nicht von der Mehrheit, sondern von ein paar hirnlosen, bösen Idioten, das ist klar – für so furchtbare Taten missbraucht wird?
Normalerweise hätte ich die Frau wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen, doch irgendwie fiel mir jetzt auf, dass man religiöse Symbole ähnlich wie Pali-Tuch oder Springerstiefel, mit jeder Menge negativer Dinge assoziieren kann. Vielleicht wäre das auch ein Thema für einen Artikel, überlegte ich am nächsten Tag auf dem Weg zum Friseur, und wie es der Zufall wollte, trug meine Koloristin Hawa, die ich vor eineinhalb Jahren das letzte Mal gesehen hatte, plötzlich Kopftuch. DIE Gelegenheit, zu fragen, wie man sich als Muslima in Deutschland fühlt.
Hava: „Ich war schon immer Muslima. Meine Eltern sind Türken, ich bin in Deutschland aufgewachsen, deshalb war der Glaube für meine Schwestern und mich früher nicht ganz so wichtig. Vor zwei Jahren ließ ich mich scheiden – ich hatte früh geheiratet und die Ehe war furchtbar. Übrigens keine Zwangsehe, meine Eltern haben da nie mitgeredet. Direkt nach der Scheidung wurde mein Vater sehr sehr krank. In der Zeit ging es mir sehr schlecht, ich war psychisch fertig von den Eheproblemen und litt zusätzlich unter der Krankheit meines Vaters.
In der Zeit habe ich angefangen, mich mehr mit meinem Glauben zu beschäftigen und wurde erst so richtig gläubig. Vor einem Jahr fing ich deshalb an, meinen Kopf zu bedecken. Meine Mutter hatte anfangs ziemliche Bedenken. Sie sorgte sich, ich könnte nun diskriminiert werden oder keinen Job mehr finden. Sie und meine Schwestern laufen deshalb auch unbedeckt herum, für viele ist das Kopftuch aber auch nicht so wichtig. Ich verstehe den Koran aber so, dass es gewünscht ist, sich den Kopf zu bedecken. „Versteckt euren Schmuck“, heißt es da. Schmuck sind für mich Haare und Körper, für manche geht das ja so weit, dass auch die Augen als Schmuck zählen, aber so sehr würde ich mich nie bedecken.
Das Kopftuch wird von meinem Umfeld akzeptiert. Bei der Arbeit hat niemand etwas gesagt. Als Friseurin musste ich früher immer darauf achten, top gestylt zu sein und jetzt ist es wirklich praktisch für mich, morgens nur kurz das Kopftuch überzuziehen zu müssen, ohne sich erst die Haare glätten und frisieren zu müssen. Ich kann es sogar zum Sport, beim Boxen und Laufen tragen. Meine Schwestern – andere Muslime erkennen einen sofort auf den ersten Blick – und begegnen einem freundlich. Es spricht irgendwie ja auch für mich, dass ich so als Friseurin arbeiten darf, denn meistens bekommt man vom Salon ganz klare Anweisungen, wie man sich anziehen und stylen soll.
Nur eine Kundin hat mich mal gefragt, ob ich jetzt „Islamistin“ sei. Sie meinte wohl „Muslima“, denke ich. Danach hat sie versucht, aus mir herauszukitzeln, dass das alles nicht meine freie Entscheidung ist. Sie dachte, mir würde das meine Familie oder ein Mann vorschreiben. Das ist ja trotzdem eine recht nette Reaktion. Andere zu fragen, ob alles in Ordnung ist, ist immer der bessere Weg als jemanden gleich zu verurteilen. Hier ist die Gegend ja aber auch sehr zivilisiert. Von einer Freundin, die immer in so einem weiteren Gewand rumläuft, keine Burka, sondern das, was man darunter trägt, habe ich mal gehört, dass sie auf der Straße angespuckt wurde. Das war auch nach einem Attentat. Was die Leute daran nicht verstehen, ist, dass das alles wenig mit dem Islam zu tun hat. Die ISIS ist meiner Meinung nach vor allem ein politisch-gesellschaftliches Problem, die Religion wird in den Lehren absichtlich falsch ausgelegt. Das sagen die uns auch immer in der Moschee, die ich besuche: Wir sollen vorsichtig sein und nicht zu leichtgläubig, wenn uns jemand seine Meinung aufzudrängen versucht. Vor allem sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass der Koran friedlich ist. Seitdem ich richtig gläubig bin, bin ich ein viel ruhigerer Mensch geworden. Mich stört es nicht, dass ich gerade geschieden bin, weil ich darauf vertraue, dass alles im Leben seinen Sinn hat, ich begegne anderen Menschen freundlich und versuche mein Glück zu teilen, wie es im Koran steht. Im Prinzip sind Koran, Bibel und Co. eigentlich alle gar nicht so unterschiedlich, habe ich mal gehört. In allen Büchern steht geschrieben, dass du nicht stehlen, nicht töten, nichts fälschlich begehren darfst.
Das macht es für mich noch mal so deutlich, dass Menschen, wie diese ganzen Attentäter, den Glauben bewusst falsch verstehen. Im Koran steht ganz deutlich, „Wer einen Menschen tötet, tötet die Menschheit, wer einen Menschen rettet, rettet die Menschheit.“ Eigentlich sollte es gar nicht so wichtig sein, welche Religion wir haben, oder welche Sexualität. Man sollte trotzdem immer offen auf andere Menschen zugehen, auch wenn sie eine andere Auffassung vom Leben haben, als man selbst. Ich fand Frauen in Burka früher selbst zum Beispiel auch unheimlich, bis ich mal eine von ihnen angelächelt habe und sie dann mit mir gesprochen hat. Das kann ich nur jedem empfehlen, der Angst hat und sich solchen Frauen gegenüber unsicher fühlt: Lächeln und fragen, warum sie so herumlaufen.“
Danke, Hawa. Und wo wir gerade schon davon sprechen: Genauso gern dürfen natürlich auch Frauen mit Schleier, in Burka, mit Habit oder in Stringtanga und Strapse auf mich zukommen und fragen, warum ich nicht so wie sie herumlaufe. Fremdes wird befremdlich, wenn man sich nicht austauscht, nicht miteinander kommuniziert. Zeit es zu tun, wann immer unser Kopf Dinge denkt, die wir dort nicht haben wollen.