Neonorangene Haare, kerzengerade abgeschnitten, lange, auffällige Nägel, markanter Style und noch dazu eine Bombenfigur und ein Gesicht wie gemalt. Alyssa Zoye (27) erregt Aufsehen, wo immer sie auch ist. Man feiert sie für ihren extremen Look. Nicht nur als Model am Set, auch auf Social Media oder einfach nur in der U-Bahn. Das war schon immer so.
Aber nicht nur, um ihr Komplimente zu machen, schauen die Leute sie an. Das Ganze schlägt auch in ein anderes Extrem aus: Rassismus. Alltagsrassismus, der war eh schon immer da. Als sich die aktuelle Pandemie jedoch langsam aber sicher über den ganzen Globus ausbreitete, wuchs auch noch eine ganz andere Form von Rassendiskriminierung – der Corona-Rassismus.
Für, sorry, dumme Menschen scheint die Rechnung einfach zu sein. Das Virus = in China ausgebrochen. Daher alle Menschen mit Mandelaugen und asiatischem Aussehen = Chinesen = Infizierte = eine Gefahr. Wow.
COVID-19 hat anscheinend alle Menschen, die andere aufgrund ihres „andersartigen“ Aussehens gerne beleidigen, ans Tageslicht befördert. (Und auch schlecht gebräunte Präsidenten, die sich ernsthaft hinstellen und schreien: „This is a Chinese Virus!“) So hört man seit Wochen immer wieder unglaubliche (absurde) Storys von asiatisch Aussehenden, die auf der Straße beleidigt, gepöbelt und ausgegrenzt werden.
Wie traurig ist die Tatsache, dass es mittlerweile einen #IchBinKeinVirus-Hashtag gibt? Geben muss.
Auch Alyssa kriegt in der aktuellen Krise noch mehr rassistisches Gedankengut von Fremden ab, als sie es sowieso schon ihr ganzes Leben lang tut. Ich habe mit ihr gesprochen und mir mit einer Mischung aus Erstaunen und Entsetzen angehört, was die 27-jährige Hamburgerin in den letzten Wochen und Monaten so alles erlebt hat. Das Gespräch wurde aufgezeichnet und wird hier aus Alyssas Sicht als Protokoll niedergeschrieben. Normalerweise wünsche ich gerne viel Spaß beim Lesen, hier muss ich wohl eher sagen: Hört gut zu. Macht euch klar, dass das unsere Realität ist. Ob selbst betroffen oder nicht, sprecht euch klar dagegen aus. Denn: Wer nicht hinsieht, war trotzdem dabei.
Report: So erlebt eine junge Frau Corona-Rassismus
„Meine Eltern sind Migranten aus Vietnam. Mein Vater floh aus dem Vietnamkrieg, meine Mutter kam zu DDR-Zeiten nach Deutschland und haben sich da kennengelernt. Ich bin die erste Generation, die hier geboren wurde – in Hamburg, dort bin ich auch aufgewachsen. Zwischendrin war ich mal für insgesamt zwei Jahre in Bangkok, New York und Vietnam. Die Hansestadt aber ist meine Heimat. Ich bin Deutsche, doch das zu verstehen war schon mein Leben lang für viele Menschen anscheinend zu schwierig.
Rassismus war immer schon ein Teil von mir, seit ich Denken kann. Jeden Monat, wenn nicht sogar jede Woche, erlebe ich irgendeine Form von Rassismus. Wenn ich in der Stadt unterwegs bin oder U-Bahn fahre, nuscheln irgendwelche Leute „Ching Chong“ hinter mir her. Solche Sachen. Ich höre schon fast nicht mehr hin.
Mein schlimmstes Erlebnis vor der Krise passierte in einer Nacht, in der ich alleine vom Feiern nach Hause – das war damals Jenfeld – fuhr. Auf der anderen Straßenseite stand ein Mann, der mir irgendetwas hinterherrief. Ich hörte Musik, ignorierte ihn zunächst. Er fing an, richtig laut zu werden und schrie plötzlich „Reisfresse!“. Keine Ahnung, was ihn so so wütend gemacht hat, aber er war so aggressiv, dass ich Angst bekam und meinen Schlüssel schon in meiner Hand platzierte.
Ein Schimpfwort nach dem anderen sprudelte aus ihm heraus, bis ihn seine Freunde endlich zurückhielten. Normalerweise fühle ich mich immer sicher, aber diese Situation – nachts und alleine – empfand ich wirklich als gefährlich. Generell ignoriere ich meistens, wenn mir irgendjemand dumm kommt, laufe weiter und erhebe im Vorbeigehen mal meinen Mittelfinger. Witzig, denn dann fühlen sich die meisten plötzlich von mir angegriffen und fragen, warum ich denn so unhöflich sei.
Schlimm ist auch, dass generell jeder, der Mandelaugen hat, sofort als Chinese deklariert wird. „Du hast Schlitzaugen, du bist ChinesIn.“ Das ist genau das gleiche, wie eine schwarze Person zu fragen, ob sie afrikanisch spricht. Ich erinnere mich auch noch an das letzte Silvester, wo ich mit meiner Mutter in einem Hotel-Restaurant war, und das Personal auf einmal ganz erstaunt darüber war, dass wir ja „so gut Deutsch können“. Da hat sich bis heute nicht viel verändert. Naja, stimmt nicht ganz – jetzt durch Corona nimmt das Ganze noch extremere Formen an.
Im Februar, als wir noch keine Ausgangsbeschränkungen hatten, das Thema aber immer rasanter durch alle Medien lief und langsam auch in Deutschland ankam, fing alles an. Drei Jugendliche riefen mir in der Bahn „Corona“ hinterher als sei es das Normalste der Welt. Auf Social Media ging es dann weiter. Auf einmal standen unter meinen Bildern Kommentare wie „Corona“ oder „What’s the cure for Corona?“ – was zur Hölle, woher soll ich das wissen? Freunde von mir mit asiatischem Hintergrund wurden auf der Straße angehustet. Ende Februar war ich mit dem Flixbus auf dem Weg nach Berlin. Ich stieg ein, suchte mir meinen Platz und dachte mir nicht viel dabei. Aus der hinteren Reihe hörte ich es schon wieder: „Corona“. Der Bus war ziemlich voll, aber keiner wollte seine Sachen wegnehmen, damit ich mich neben ihn setzen konnte – bis es dann endlich jemand tat. Zwei Reihen vor mir saß ein deutsches Ehepaar, das offenbar sehr krank war, sie husteten und niesten die ganze Zeit. Meint ihr, irgendjemand hätte sich darum auch nur für eine Millisekunde interessiert? Ich war der Feind, weil ich „die Asiatin“ war.
Als die Isolation bei uns anfing, schützte ich mich direkt mit einem Mundschutz. Meine Mutter ist Risikopatientin, ihre Lunge ist krank, sie hat Asthma und ist immunschwach. Ich wollte also um jeden Preis verhindern, dass ich sie irgendwie anstecken könnte und traf direkt Maßnahmen. Direkt habe ich gemerkt, dass mir die Leute aus dem Weg gingen, die Straßenseite wechselten oder im Supermarkt einen großen Bogen um mich machten.
Noch eine krasse Situation: Ich war in einem Kiosk, um ein Paket abzuholen. Als ich dem Kioskbetreiber den Zettel in die Hand drückte, starrte er mich an und fragte: „Kommst du aus Wuhan?“ Was mich daran am meisten verwundert, ist, dass er selbst Südländer war und demnach doch selbst von Rassismus betroffen ist! Gerade dann müsste man doch einen Funken Empathie besitzen. Naja, ich klärte ihn auf, dass ich wohl kaum zufällig hier in Hamburg stehen und bei ihm ein Paket abholen würde, wenn ich aus Wuhan käme. Er deklarierte es als Spaß. Sehr witzig.
Bei normalen „Blicken“ bleibt es zur Zeit kaum. Ich war neulich unterwegs, als die Maskenpflicht noch nicht bestand, und begegnete einer Frau. Sie starrte mich etwas länger an als normal, wirkte verunsichert. Dann beobachtete ich, wie sie ihren Schal über Mund und Nase zog, als ich an ihr vorbeilief. Ich drehte mich kurz darauf nochmal nach ihr um, um zu sehen, ob sie das wirklich wegen mir tat – und ja, sie hatte den Schal wieder nach unten gezogen.
Einmal habe ich jemanden wegen seines Rassismus konfrontiert, als mich ein Südländer beschimpfte. Ob er das lustig fände, jemanden zu beleidigen, der doch vom gleichen Problem betroffen ist wie er selbst. Er konnte es überhaupt nicht nachvollziehen. Mit solchen Menschen zu diskutieren, ist einfach eine Sackgasse. Sinnlos.
Natürlich schwirren auch gerade sämtliche (Verschwörungs-)Theorien umher, das Virus sei eine von China eigens herangezüchtete Biowaffe. Ein Freund aus New York schickt mir ständig irgendwelche Links mit neuen Thesen. Ich schau mir das an, aber das wars dann auch. Ich habe keine Lust, mich mit sowas zu befassen und halte mich mittlerweile auch von übermäßigem Nachrichtenkonsum fern. Gerade wegen meiner Mutter als Risikopatientin drehte sich anfangs alles nur um das Virus, aber jetzt habe ich mich davon distanziert. Gott sei dank erreicht wenigstens sie der Rassismus zur Zeit nicht, weil sie nur zu Hause ist.
Es ist schon extrem. Dass alle asiatisch aussehenden Menschen als Virusträger abgestempelt werden, nervt mich. Viele sehen vielleicht so aus, sind aber hier geboren und waren noch nie in ihrem Leben überhaupt dort. Da ist doch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Geschäftsmann, der immer mal wieder beruflich ins Flugzeug steigt, das Virus trägt, doch viel höher. Aber soweit denken viele Menschen mich – einerseits enttäuscht mich das, andererseits überrascht es mich auch nicht mehr.
Wenn mich fremde Menschen aufgrund meines Aussehens diskriminieren und bepöbeln, sagt das nichts über meine Person aus, es sagt etwas über denjenigen selbst aus – nämlich einzig und allein, dass er ein Rassist ist. Ignoranten Menschen ist selten zu helfen. Deutschland ist und bleibt meine Heimat und ich fühle mich hier wohl. Was ich noch sagen will: We’re all together in this shit. Wir alle bestehen aus Blut und Wasser, meine Augenform macht mich nicht zu einem anderen Menschen. Rassendiskriminierung war schon immer und ist noch immer scheiße. Sie unter dem Deckmantel eines Virus zu verstecken, ist noch schlimmer.“