Emma Sanders‘ Stimmlage wird euphorisch und hell, als sie mit fast schon akribischer Genauigkeit jeden Moment dieses besonderen Abends erneut zu durchleben beginnt. Wir schreiben den 10. September, die New York Fashion Week pulsiert in der Stadt – und eine ganz besondere Show steht an. Eine Show, die auch vom Rest der Welt mit ebenso akribischer Genauigkeit verfolgt und gefeiert wird. Rihannas „Savage X Fenty“-Show. Curvy-Model Emma durfte ein Teil davon sein. Sie selbst läuft bereits seit 7 Jahren über etliche Runways, kennt sich also aus in der Branche. An diesem Abend ist sie Gast. Einer von geschätzten 300, die live in den Genuss des riesigen Spektakels kommen.
Denn eine stinknormale Laufsteg-Show bietet Rihanna uns nicht. NATÜRLICH nicht. Vielmehr ist es ein Konzert, ein Fest, ein pompöses Event, eine Hommage an uns alle. Weil ethnische, körperliche und geschlechtliche Vielfalt dort endlich gelebt werden. Weil ein einziger Frauentyp als „Ideal“ im Jahr 2019 ja wohl schon lange überholt sein sollte. Emma kommt aus dem Schwärmen jedenfalls gar nicht mehr heraus. Und sie nimmt uns mit. An diesen Ort, vor diesen Laufsteg – hin zu dem Tag, an dem „Savage X Fenty“ vielleicht endgültig das moderne Pendant zu „Victoria’s Secret“ geschaffen hat…
Die Stimmung ist ausgelassen, die Vorfreude groß. Klar, nicht nur auf Emma Sanders kommt an diesem Abend schließlich Großes zu. Die Erwartungen sind hoch, man ist verwöhnt – spätestens seit der aufwendigen Show aus dem letzten Jahr. Bereits dort wurde Diversität nicht nur gezeigt – sondern gelebt. Lässt sich ein solcher Auftakt überhaupt noch toppen?!
Im Wartebereich des „Barclays Center“ in Brooklyn tummeln sich die Gäste. Es wird geredet, getuschelt, gemutmaßt, gehypt. Die Outfits sind bunt, ebenso das Make-up. Wenn nicht heute, wann dann? Rihanna hat, passend zur Show, längst nicht nur Models, Journalisten und Fashion-Influencer eingeladen. Die Menge ist voll von Künstlern, Insta-Persönlichkeiten und Individualisten. Sie alle werden, gemeinsam mit Emma, eine stehende, wogende Crowd bilden, die ebenerdig zum installierten Laufsteg die Show begleiten darf. In den Gesprächen, die Emma aufschnappt und mit Model-Kolleginnen führt, steht ein Thema im Vordergrund: „Anspannung gibt es keine. Allen ist klar, was sie von dieser Show erwarten können. Hier sind alle frei, individuell und können genau das verkörpern, was sie persönlich ausmacht.“
Die Gästeliste ist begrenzt und begehrt. Das Staraufgebot dafür umso größer. Selbst Anna Wintour sitzt im Publikum, für ausgewählte Zuschauer wie sie ist die Tribüne mit Sitzplätzen reserviert. Während all die anderen Gäste mit Stehplatz-Einladung über Lastenaufzüge in die Katakomben der Halle gefahren werden, lädt sich die Stimmung weiter auf. „Man hat es schon in der Luft gespürt, an den Blicken der anderen, am Knistern und Vibrieren.“ Noch bevor die Plätze eingenommen sind, werden über Lautsprecher die musikalischen Acts verkündet. Migos, Halsey, DJ Khaled, Big Sean, A$AP Ferg, Fat Joe, Fabolous and Tierra Whack. 💥 Hip-Hop, Old School, urban, laut. Ein Banause, wer da nicht in Tanzlaune kommt… Und getanzt wird. Von der ersten Sekunde an.
Mit Beats und Twerking durch die Fashion Show
Denn die Kulisse ist bombastisch, die Vibes sind mitreißend – nichts davon erinnert auch nur im Entferntesten an eine klassische Fashion Show. Eher an die Kulisse eines ebenerdigen Theaterstücks. Abstrakt, modern, überwältigend. Die riesige, haushohe Installation könnte eine italienische Plaza darstellen, umgeben von Gebäuden, Torbögen, Treppen und Fenstern. Alles davon ist in hellem Weiß gehalten. Ein Lichtblick, in der sonst so schummrig dunklen Arena. Die Models laufen perfekt getimt in ihren knallbunten Fenty-Dessous durch die Szenerie. Nehmen den Raum für sich ein. Mit Tangas, Spitzenbodys, Strümpfen, Seiden-Hemdchen. In Neon-Grell bis Edel-Soft.
Den Anfang aber macht Rihanna selbst. Der imposante Startschuss für eine 40-minütige Show, die so schnell sicherlich niemand vergisst. Denn wenn die Sängerin und Designerin etwas anpackt, dann mit einem großen Knall. Es tummeln sich die Tänzerinnen auf der Bühne, in perfekter Choreografie und doch so individuell, wie es bisher (leider) nur „Savage X Fenty“ zu verkörpern vermag. Authentische Frauen, verschiedene Körper, ein Gesamtbild der Extraklasse. Alles schwingt, twerkt und wackelt. Dünn, schlank, athletisch, kurvig, dick – jeder Mensch auf der Bühne strotzt nur so vor Energie. Und überzeugt vor allem durch eines: das wahnsinnige Können „Wenn eine Menge bebt, dann diese.“
Kein Trend mehr, sondern ein Lebensgefühl
Und das Publikum? Das lässt sich anstecken. Wozu sind Stehplätze sonst schließlich da?! In mehreren wogenden Reihen wird gejubelt getanzt, gesungen und gefeiert. Inklusivität auf einem neuen Level. Denn selbst Emma, die mit den Jahren so einiges an Veränderung in der Branche erlebt hat, wird hier noch einmal sprachlos gemacht: „Diese Show feiert mit einer Selbstverständlichkeit alle Frauen in allen Positionen, wie es vorher noch nicht dagewesen ist. Nicht nur die Models, auch die Tänzerinnen, die musikalischen Acts und das Publikum sind divers und inklusiv. Es sind nicht nur ein paar Alibi-Models dabei, die ein neues Bodyimage verkörpern sollen, hier wird Vielfalt wirklich gelebt.“
Unterschiedliche Frauen, mit allen erdenklichen Körpern, Hautfarben und Stilrichtungen. Die einfach nur als sie selbst glänzen können. Perfekt inszeniert in einem Zusammenspiel aus gleißenden Lichtern und imposanten Tänzen. Von denen meist mehrere gleichzeitig stattfinden, während sich die Models, untermalt von neonfarbenem Scheinwerferlicht, durch die Arena bewegen. Es ist ein gemeinsamer Auftritt, eine perfekte Choreografie. Mehr noch Musikvideo als Laufsteg. Ein Akt folgt auf den nächsten. Künstler, Tänzer und Models sind gleichermaßen in die Performance integriert. Die Augen fliegen. Es ist schwer, fokussiert zu bleiben, wenn sich überall einfach alles bewegt. Keine Zeit zum Durchatmen. Schon zieht wieder ein anderes Highlight die Aufmerksamkeit auf sich. Die Münder der Zuschauer stehen offen. Überwältigend. Das trifft es vermutlich am besten. Und irgendwie neu. Denn der Fokus liegt, anders als bei den Shows von „Victoria’s Secret“ zum Beispiel, nicht auf den Models allein, sondern auf der Gemeinschaft, der Hingabe, der Freude an sich selbst.
Fast muss man kurz innehalten und Luft holen, um die Dessous nicht aus den Augen zu verlieren. Immerhin werden sie präsentiert von Cara Delevingne, Bella & Gigi Hadid, Laverne Cox, Slick Woods, Normani, Lauren Wasser, Alek Wek… und vielen weiteren Frauen (und Männern), mit all den Äußerlichkeiten, die man sich so vorstellen kann.
Keine Haare, lange Haare, keine Beine, Beinprothesen. Mit Cellulite, ohne Cellulite. Mit hängenden Brüsten, ohne Brüste. Klein, groß, dick, dünn, mit Vagina, ohne Vagina. Frauen, wie es sie überall auf der Welt gibt. Aber wie sie auch heute noch zu selten gezeigt werden. „Diese Show macht ihr eigenes Ding. Sie muss eigentlich gar nicht auf die New York Fashion Week, sondern hätte vielmehr einen eigenen Termin verdient. Aber so rüttelt sie uns auf, bringt etwas ins Rollen.“
Repräsentation sollte keine Quote sein – sondern Maßstab
Wir sprechen hier von echter Diversität, ernst gemeint und nahbar. Und von echten Wow-Momenten. Wenn Bella Hadid im marokkanisch-angehauchten Zweiteiler von einem gelben Lichtkegel begleitet über die neblige Bühne schwebt. Wenn Halsey das Mikro übernimmt und den schweren Hip-Hop-Beats kurzzeitig eine poppige Komponente entgegensetzt. Und eine zweideutige. Denn im letzten Jahr performte die Künstlerin noch bei der „Victoria’s Secret“-Show. Nicht nur sie hat sich auf diesem Weg dazu entschieden, 2019 eine inklusivere Fashion Show zu unterstützen. Das Zeichen für den nahenden Umbruch? „Es ist schon ein kleiner, aber entscheidender Schritt, jetzt in Rihannas Show mitzumachen.“
Vielleicht schafft es die Designerin damit also endlich wirklich, Vielfalt in der Branche ankommen zu lassen. Denn was wir brauchen, ist keine Nische oder eine Quote, sondern Mainstream. Normalität. Dessous-Events mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten, Laufstege mit den verschiedensten Models, Tänzerinnen mit allen möglichen Körpergrößen. Unterwäsche für jede von uns. Wie oft wir das in diesem Leben wohl noch als Wunsch äußern müssen?!
Jeder Körper ist schön und sexy und berechtigt
Sollte die „Savage x Fenty“-Show mit diesem bunten Event „Victoria’s Secret“ tatsächlich den Rang ablaufen, wäre das ein unfassbar wichtiges Zeichen. Für eine andere, vielfältigere Welt. In der Schönheit nicht am Umfang gemessen wird. Diese Sichtweise auf den Körper der Frau ist in jeder Sekunde des Events spürbar. „Die Menschen haben keine Lust mehr auf die engstirnige Idee von Schönheit, die uns bisher verkauft wurde.“ Stattdessen haben sie Lust darauf, endlich auch ihren eigenen Körper in schöner Unterwäsche gezeigt zu bekommen. Als sexy gefeiert zu werden. Sichtbar zu sein.
Die ersten Eindrücke gibt es bereits vorab:
All das verkörpert Rihanna auf einem einzigen Laufsteg. Mit einer einzigen grandiosen Fashion Show. Mit Lichtern und Tänzen und jeder Menge Sprachlosigkeit. Mit einem Event, so exklusiv, dass die Smartphones noch vor dem Einlass abgegeben werden mussten. Allerdings vor dem Hintergrund, den kompletten Auftritt am 20. September auf Amazon Prime zur Verfügung zu stellen. Nicht nur für die Prominenz – sondern für uns alle. Zum Nachspüren, Mitfühlen, Innehalten.
Auch für Emma: „Man ist viel freier, wenn man nicht die ganze Zeit aufs Handy schauen muss. Immer diese Bildschirme überall. Ich muss aber sagen, dass ich mir am nächsten Morgen kurz nicht sicher war, ob ich dieses krasse Event wirklich erlebt habe – so viele Eindrücke waren das. Genau deshalb freue ich mich auch so sehr, die Show selber noch mal sehen zu können.“ Vor dem Bildschirm. Mit viel Euphorie und Hoffnung im Herzen. Auf den (jetzt bitte endgültigen!!) Startschuss in eine diverse, inklusive, individuelle Modebranche. Und so grandios wie die Stimmung vor Ort vibriert hat, kommt davon doch garantiert auch etwas in unseren Wohnzimmern an. Spätestens diesen Freitag dann. 🙌
Danke Emma, für diese Anschaulichkeit! Hier kommt noch mehr davon: