Liebe & Sex & Freundschaft Life

Warum es gerade so schwer fällt, die Nachrichten unserer Liebsten zu beantworten

Seit über 8 Wochen sieht mein Alltag nun schon (wie bei vielen anderen wohl auch) ziemlich vorhersehbar aus. Ich stehe auf, trinke meinen Kaffee, setze mich an den Schreibtisch, mache einen Spaziergang, gehe einkaufen, koche zu Abend… und versinke zwischenzeitlich in den Untiefen von Instagram.

Na gut, manchmal schleicht sich so etwas wie die Yoga-Session dazwischen. Oder ein Spaziergang auf Abstand mit der besten Freundin. Meistens aber sieht der Tag doch recht … alltäglich aus. Und das ist okay so. Ich habe mich mittlerweile von dem Gedanken frei gemacht, in Quarantäne unbedingt produktiver sein zu müssen.

Nur eine Sache, die nagt nach wie vor an mir, wie kaum eine andere. Sie ist klein und rot und meist mit einer viel zu hohen Zahl versehen. Die Notification-Anzeige meiner Nachrichten-Apps. Denn aktuell häuft es sich dort immer regelmäßiger. Jede Textnachricht lässt mich irgendwie hilflos zurück. Gerade in dieser Zeit passt selbst eine kurze Antwort irgendwie nie so richtig rein. Jedenfalls rede ich mir das gerne ein.

Tatsache ist aber: Ich drücke mich vor dem Zurückschreiben. Ich mache es einfach nicht. Stundenlang nicht, tagelang nicht… und plötzlich werden Wochen daraus. Diese unschöne Charaktereigenschaft breitet sich natürlich nicht erst mit dem Coronavirus aus, so viel steht fest. Irgendwie war diese Form der Kommunikation eben noch nie so richtig meins. Doch der Lockdown scheint sie aktuell noch zu befeuern. Zu potenzieren. Während ich doch eigentlich so oft mit dem Handy in der Hand auf dem Sofa sitze…

Dabei weiß ich ganz genau, wie wichtig der Kontakt zu Freunden und der Familie ist. Mehr denn je. Fast schon ironisch also, dass genau in diesem wahrnehmbaren Druck gleichzeitig die Ursache meiner Misere zu liegen scheint …

Antworten! Aber wann…?

Davon geht jedenfalls eine Redakteurin auf vice.com inzwischen aus, die sich mit einem ähnlichen Problem an Familientherapeutin Shira Etzion aus New York gewendet hat: „Es dauert eine Weile, um zu verstehen, dass man nicht immer anwesend ist, nur weil man von Zuhause aus arbeitet. Es ist viel eher so, dass man während eines Ausnahmezustands zuhause bleibt und versucht, nebenher auch noch zu arbeiten.“

Die Vorstellung, mehr Zeit zu haben, ist demnach ein Trugschluss.

Tatsächlich sind wir aktuell viel mehr damit beschäftigt, uns in unser neues Leben einzufügen, die Psyche auf Veränderungen einzustellen – und, sorry, aber erstmal irgendwie klarzukommen. Lasst uns diese Tatsache also nicht vergessen, wenn wir mal wieder zu erschöpft sind, um Freunden zu antworten.

Trotzdem (oder genau deshalb) muss dieser Umstand auch wirklich kommuniziert werden. Wir müssen uns nicht vor uns selbst rechtfertigen. Stattdessen sollten wir viel öfter die anderen an unseren Gedankenprozessen teilhaben lassen. Vielleicht fehlt einfach die Kraft, ausführlich zu antworten. Vielleicht tut es uns weh, ständig mit der Distanz zu den geliebten Menschen konfrontiert zu werden. Dann REDET – genau darüber:

„Es kann von Vorteil sein, keine gängigen Ausreden mehr zu haben. Denn ich hoffen, dass wir dadurch aus der Gewohnheit herauskommen, immer pflichtbewusst eine nennen zu müssen. Angemessene Antworten können stattdessen auch folgende sein: ‚Können wir morgen reden, wenn ich dir meine volle Aufmerksamkeit widmen kann?‘ oder aber ‚Ich will mich wirklich mit dir beschäftigen, das schaffe ich gerade nicht. Macht es dir was aus, wenn ich mich später zurückmelde?’“

Textnachrichten erreichen uns – ob wir bereit dafür sind, oder nicht

Wir alle sind neu in diesem Strudel aus Veränderungen. Dinge, die noch bis vor einigen Wochen persönlich geklärt werden konnten, müssen jetzt virtuell besprochen werden. Kein Wunder also, dass uns diese Form der Kommunikation inzwischen häufiger erschöpft, als dass sie uns erfreuen kann: „Wir befinden uns plötzlich in einer Situation, in der die Art und Weise, wie wir kommunizieren, zu 100 Prozent virtuell abläuft. Die Technologien, die zum Spaß oder aus freien Stücken genutzt wurden, sind nun zur Pflichtform der Kommunikation geworden.“

Angesichts dessen mal kurz eine Abneigung gegen Sprachnachrichten und Videochats zu entwickeln, ist da wohl nur allzu verständlich. Und doch wird irgendwie Normalität daraus. Die durchaus lehrreich sein kann. Ich jedenfalls nehme die heutige Erkenntnis zum Anlass, mir vermehrt Räume zu schaffen. Die halbe Stunde auf dem Sofa, der Sonntagmorgen nach dem Frühstück – ausschließlich dafür, zu beantworten. Mit dem neuen Alltag kommt dann irgendwann (hoffentlich) auch die neue Regelmäßigkeit.

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