Ich muss schon sagen: Als ich den Titel dieses Buches zum ersten Mal las, war es eigentlich bereits um mich geschehen. Anna Maas rannte mit ihrer „Happiness Lüge“ definitiv offene Türen bei mir ein. Dankbar kuschelte ich mich mit Tee (manchmal auch Wein) in die gemütlichste Kuhle meines Sofas und begann rhythmisch nickend zu lesen. Die ersten Seiten verschlang ich wie eine Ertrinkende, die nach dem letzten Strohhalm greift. So sehr fand ich mich in den Worten wieder, die das chronisch positive Denken der letzten Monate als toxisches Gefängnis entlarven.
Denn wenn es etwas gibt, das ich nicht mehr gebrauchen kann, dann sind es „Good Vibes Only“-Mantras. NEIN, manchmal kann ich mich mit einem positiven Mindset nicht aus meinem Tief herausholen. Und NEIN, manchmal reicht das schönste Lächeln nicht aus, um die Rastlosigkeit im Inneren zu vertreiben.
Obwohl ich sicherlich vergleichsweise glimpflich durch die vergangenen eineinhalb Jahre gekommen bin, nagt auch an mir diese Zeit. Wie an so vielen anderen wohl auch. Doch während ich im letzten Frühjahr noch enthusiastisch Bananenbrot backen konnte, treibt mir heute der bloße Gedanke an eine solche Aktivität bereits die Tränen in die Augen. Ich kann gerade nicht aktiv sein. Ich will mich nicht mehr ablenken müssen und ‚das Beste daraus machen‘. Stattdessen bin ich erschöpft und gedämpft… und so wenig in #GoodVibes-Stimmung, wie lange nicht mehr.
Anna Maas ging oder geht es ähnlich. Auch sie fühlte sich mit ihren Gefühlen alleine und von Social Media unverstanden. Bis ihr die Begrifflichkeit „Toxische Positivität“ begegnete. Endlich gab es da etwas, das das Unwohlsein gegenüber all den strahlenden Instagram Captions zum Ausdruck brachte. Plötzlich sprach jemand das aus, was kaum in Worte zu fassen war. Und wenn es ihr so ging, warum dann nicht auch vielen anderen? Die Schriftstellerin und Autorin sammelte kurzerhand ihre Gedanken, fragte Expert*innen an und brachte schließlich Anfang des Monats das Buch mit dem Titel „Die Happiness Lüge“ heraus. Eines, das uns den Druck nehmen soll, immer glücklich sein zu müssen. Eines, das allen Emotionen Raum gibt und Lösungen aufzeigt, jenseits der „Denke glücklich, dann wirst du glücklich sein“-Philosophie.
Was eigentlich so selbstverständlich sein sollte, wird von unserer Gesellschaft schließlich immer noch viel zu häufig als Schwäche und Unzulänglichkeit abgetan. Wer unglücklich ist – und das vielleicht sogar über einen längeren Zeitraum bleibt – ist selbst schuld daran. „Lächel doch mal“, heißt es dann von Arbeitskolleg*innen, „sei doch dankbar für das, was du hast“, fordern Freundinnen zur Aufmunterung.
Dass gerade solche Aussagen aber weiteren Druck aufbauen können, der von einer dauer-glücklichen Online-Welt noch verstärkt wird, müssen wir uns wohl erstmal bewusst machen – und eingestehen. Denn wie frustrierend ist es letztlich, allen anderen beim wohltuenden Meditieren zuzusehen, während man selbst nach dem Yoga nur noch wütender auf sich ist: Schließlich hat man es trotz all der Mühe schon wieder nicht geschafft, endlich ausgeglichen zu sein!!!
„Was ist nur falsch mit mir? Sollte es mir jetzt nicht eigentlich super gehen?“ Ist da schnell der Tenor, zu dem sich der eigene Kopf verleiten lässt. Ein Teufelskreis, wie ihn auch Anna Maas in ihrem Buch beschreibt: „Oft machten genau diese Dinge sogar alles noch schlimmer. Denn zu den Sorgen, die sowieso schon da waren, gesellte sich dann auch noch das schlechte Gewissen, dass man es nicht mal hinbekam, positiver zu denken. Eine Negativspirale.“
Vor allem aber auch: Eine sehr individuelle Gradwanderung. Denn Glück und Unglück lassen sich nicht messen oder aufwiegen. Mentale Erschöpfung oder gar psychische Probleme sind nicht aus der Welt, nur weil jemand anderes den Auslöser als nichtig empfindet. Natürlich sollten wir uns unserer Privilegien dennoch bewusst sein – über die persönliche Verfassung und Gesundheit sagen die aber so gar nichts aus.
„Good Vibes Only“ bringen uns nicht weit
Was also können wir tun, wenn das dumpfe Gefühl im Bauch trotz Malkurs und Makrameeknüpfen nicht verschwinden will? Wenn die Tränen auch fließen, während unser Lieblingsfrühstück bei Sonnenschein vor uns steht? Anna Maas rät: Zunächst einmal anerkennen. Weg von den Vergleichen auf Social Media. Hin zur Auseinandersetzung mit den eigenen, berechtigten Gefühlen.
Die Umsetzung ist nicht immer leicht. Denn wir sind gut darin geworden, zu verdrängen und uns abzuschotten. Darin, Krisen als Chance zu verstehen, anstatt sich wirklich mit der Verarbeitung auseinanderzusetzen. Die Autorin gibt in ihrem Buch viele persönliche Beispiele dazu – weit über die Zeit der Pandemie hinaus. Sie spricht über die schwere Geburt ihres ersten Kindes, das Gefühl der Überforderung als Mutter, den Verlust ihres Vaters … und wie sie vieles davon lange weggesperrt hat, anstatt Gefühle zuzulassen. Niemand will unzulänglich sein. Niemand will scheitern und jede*r meint, mit guten Ratschlägen und motivierenden Floskeln Positives erreichen zu können. „Dafür weißt du das Leben jetzt bestimmt viel mehr zu schätzen“, „andere wünschen sich Kinder und bekommen keine, sei doch dankbar für deins“, heißt es in solchen Fällen schnell mal.
Nicht jede Lebensrealität von Anna Maas kann ich nachempfinden – das muss ich aber auch gar nicht. Der Kloß in meinem Hals schwillt dennoch mit jedem Abschnitt weiter an. Ich fühle mich ertappt in meinen Mustern und verstehe langsam, wieso mein Körper und mein Geist manchmal nicht mehr funktionieren können. Oft schlucken wir den Stress und den Frust, all die negativen Gefühle so lange hinunter … bis ein falsches Lied im Radio oder der Fleck auf dem Shirt bereits genügt, um das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen zu bringen.
„Sag mal, wie geht es dir eigentlich wirklich?“
Wir sind keine Maschinen. Und wir sind auch keine Wandkalender, die mit täglich neuen Feel-Good-Sprüchen funktionieren. Wem positive Anreize helfen, bitte schön, unbedingt! Nur Druck und noch mehr Frust sollten daraus nicht entstehen. Wir sind alle nicht dazu verpflichtet, glücklich zu sein. Nicht auf Social Media und auch nicht im echten Leben.
Natürlich vermittelt gerade Ersteres einen wunderbar schönen Schein. Jede*r teilt gerne die positiven Seiten. Nur ist und bleibt es eben vorrangig eines (und dessen sollten wir uns bewusst sein): mehr Schein als Sein. Wir alle durchleben Phasen, in denen die Welt um uns herum zusammenbricht. In denen es schwer fällt, die alltäglichsten Aufgaben zu bewältigen. Die sich taub anfühlen oder voller Wut. Note to ourselves: Es ist okay, diese Phasen zuzulassen. Und es ist noch mehr okay, sich, wenn nötig, Hilfe zu holen.
Die toxische Positivität sollte also vorrangig einer ernst gemeinten Empathie weichen, findet Anna Maas. Uns selbst und anderen gegenüber. Jedes Gefühl ist valide und hat seine Daseinsberechtigung. Niemand hat das Recht, Emotionen abzusprechen oder kleinzureden. Auch uns selbst können wir dabei immer wieder schulen. Anstatt aufmunternd anzumerken, dass „alles wieder gut wird“, können wir Anteilnahme zeigen und vermitteln: „Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Ich bin für dich da.“ Auch Aussagen wie „Das haben schon andere vor dir geschafft, du packst das!“, helfen den Betroffenen selten weiter und können stattdessen durch eine differenzierte Wahrnehmung der Situation aufgefangen werden: „Jede*r hat andere Voraussetzungen, Grenzen und Fähigkeiten. Und das ist okay!“
So fallen der Druck und die Anspannung ab, vor anderen irgendwie guter Dinge oder positiv sein zu müssen. Denn, sind wir mal ehrlich, wer sich gerade in einer schwierigen Phase des Lebens befindet, der möchte nicht auch noch darüber hinweglächeln müssen. Ich jedenfalls bin froh, inzwischen auch mal vor Erschöpfung weinen zu können – ohne mich danach direkt bei meinem Freund entschuldigen zu wollen.
„Happiness“ muss kein Dauerzustand sein
Weil ich merke, wie wenig gut es mir tut, habe ich zudem Instagram auf die letzte Screenseite meines Handys verbannt. So öffne ich die App über den Tag verteilt deutlich seltener. Ich übe mich im Annehmen und Hineinhorchen. Damit ich nicht mehr wütend werde, wenn ein Tanz durch die Küche mal nicht die gewünschte (oder sogar verlangte) Wirkung erzielt. All diese Aktivitäten können wertvolle Hilfsmittel sein, klar. An einigen Tagen besser, an anderen schlechter. Für manche Menschen mehr, für andere weniger. Sie sind allerdings kein Universalheilmittel … und sollte auch nicht als solches angepriesen werden. Tanzende Influencer*innen taten mir lange nicht gut. Weil ich nicht mithalten konnte, weil dieses Gefühl, das mir versprochen wurde, einfach nicht aufkommen wollte. Heute weiß ich, dass das in Ordnung ist. Und trotzdem kämpfe ich immer wieder damit. Also mute ich bestimmte Stories – von Zeit zu Zeit.
Denn auch das kann Social Media: einfach mal ausgeschaltet werden. Und damit hat Anna Maas letztlich vielleicht sogar noch mehr geschafft, als mich meinen Gefühlen näher zu bringen. Sie hat mich auf die Couch verfrachtet und endlich mal wieder zum Lesen gebracht. Ohne Druck, ohne Muss, ohne zeitlichen Eigenanspruch. Dafür aber mit so manch einem Aha-Erlebnis und so so viel Wiedererkennungswert (trotz unterschiedlicher Lebensrealitäten). Allein dafür lohnt es sich, in dieses Buch hineinzuschauen. Aber natürlich auch, um endlich wegzukommen, von dieser Happiness-Blase… und einer längst schon toxischen Positivität.