Ist schon klar: Eigentlich haben wir alle Tinder natürlich noch nie, nie, nie im Leben benutzt, und alle Artikel über diese sinnlose App sind hier bei Très Click natürlich in selbstloser, investigativer Recherche entstanden. Oder so ähnlich. Viel erwartet man von Tinder ja nun wirklich nicht, schon gar nicht die ganz große Liebe. Da ging es mir ganz genauso. Ist ja auch klar, wenn man hier sonst nur auf Männer trifft, die im Fahrstuhlspiegel Selfies machen, Abercrombie-Models, die unauffällig auf ihr Instagram-Profil verlinken, oder diese ganz besonders charmanten Artgenossen, die direkt in der ersten Nachricht fragen, ob man nicht Lust hat, per WhatsApp Sex-Fotos auszutauschen. (Wer das tragische Ausmaß der Tinder-Chats sehen will, einfach mal auf Tinderwahnsinn.de vorbeischauen…)
Vielleicht tun sich deshalb alle so schwer zuzugeben, dass sie über die App selbst schon mal den einen oder anderen Typen kennengelernt haben, mit dem es mehr wurde als einmal „Netflix“ und zwei Mal „Chillen“. Mir ging es im Prinzip ja genauso, bis ich irgendwann keine Lust mehr hatte, mir bei Gesprächen über das Kennenlernen etwas Gesellschaftsfähiges auszudenken und halt gesagt habe wie es ist: Ich habe meinen Freund bei Tinder kennengelernt.
Vor mittlerweile knapp zwei Jahren ist mir Jannik* höchst romantisch (*not*) auf dem Display begegnet, auf dem ich gerade eigentlich nur hin- und herwischte weil mir langweilig war und ich nicht schlafen konnte. An Tinder hatte ich zu dem Zeitpunkt aufgrund meiner traumatischen Dating-Erfahrungen eigentlich auch gar nicht mehr geglaubt.
Es stimmt schon: Während der acht Monate, die ich Tinder immer wieder mal mehr, mal weniger genutzt habe (inklusive der typischen „Jetzt lösche ich die App echt. Endgültig“- und „Mist, mir ist langweilig, ich installiere sie doch wieder“-Stationen), habe ich wahrscheinlich mehr „Lust auf einen spontanen F***?“-Nachrichten bekommen als die Mädels, die man nach 22 Uhr in der RTL2-Werbung sieht.
Auch die Dates, die ich durch Tinder hatte, waren irgendwie nicht so das Wahre: Da war einmal dieser Typ, den ich echt ganz gut fand, der aber parallel noch eine andere datete, der Anwalt, der erschreckend gute Photoshop-Skills hatte und das Model, das aus Angst vor zu viel Kalorien keinen Wein trinken wollte und lieber einen mit mir durchzog. Dass das mit mir und meinem Freund etwas werden würde, habe ich vor unserem ersten Date deshalb selbst nicht gedacht.
Auf das Date mit Jannik ließ ich mich dann aber spontan ein, weil mir langweilig war und ich nicht schlafen konnte. Klingt banal, ist es auch. Aber vielleicht ist das mit Tinder ja so wie im wahren Leben: Obwohl man bei der App den Eindruck bekommen soll, man könnte hier Beziehungen quasi per Match ’shoppen‘, sind Gefühle nun mal nicht planbar. Da kann man noch so viele (bearbeitete) Bilder gesehen haben; am Ende muss die beste Freundin dann doch wieder einen Anruf vortäuschen, damit man endlich fliehen kann.
Manchmal ist es ja aber auch ganz gut, wenn man nicht plant. Wenn man sich einfach mitten in der Nacht spontan trifft und in Jogginghose etwas trinken geht. So haben Jannik und ich es bei unserem ersten Date gemacht und irgendwie haben wir da – ungestyled und ungeschminkt – schon bemerkt, dass wir uns verdammt gut verstehen. So kam nach dem ersten Date noch ein zweites, drittes, viertes… Bis wir dann irgendwann eine Woche am Stück in Jogginghose und mit Pizzakartons zusammen auf dem Sofa chillten und uns immer noch nicht über hatten. Da sitzen wir heute immer noch. Natürlich ohne parallel auf einer sinnlosen App nach links und rechts zu wischen, denn ganz ehrlich: Was erwartet man schon großartig von Tinder?
*Name geändert
Da ich schon vor und während meiner Zeit bei Tinder Bücher geschrieben habe, lag es nahe, all die skuril-unterhaltsamen Katastrophendates, die mein Freund, unsere Freunde und ich bei Tinder hatten, aufzuschreiben. So ist eine Tinder-(Hass-)-Liebesgeschichte entstanden: Das Buch „Viele Frösche musst du küssen, Tinderella!: Eine wahre Liebesgeschichte“ wurde am 14. März 2015 im Verlag Eden Books veröffentlicht.
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