Fuck. Fuck. Fuck.
Ich hatte eigentlich nichts anderes im Kopf, als ich mir die acht Teile der neuen Amazon-Prime-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (Start: 19. Februar 2021) reingezogen habe. Zusammen mit dem dumpfen Kloß in meinem Hals, der von einem Drogenrausch zum nächsten immer größer wurde, ’ne verdammt aufwühlende Kombi. Aber genau das macht die tragische, wahre (!) Geschichte der Christiane F. – eine Geschichte voller Drogen, Prostitution und tragischen Verlusten – nun mal auch aus. Sie reißt dich mit. Das war vor 40 Jahren so und hat sich bis heute nicht verändert. Als 1978 das gleichnamige Buch der „Stern“-Reporter Horst Rieck und Kai Hermann und nur drei Jahre später der Film von Regisseur Uli Edel rauskam, entstand ein Riesenhype. Jeder redete darüber. Über die junge Christiane F., die schon im Teenie-Alter der Heroinsucht verfiel. Über eine Jugend am Abgrund, die von der dreckigen, düsteren Seite West-Berlins während der 70er einfach verschluckt wurde. Über Kids, die für den nächsten Schuss ihre Körper verkauften, um so halt irgendwie ihrem persönlichen Elend zu entkommen. Zumindest für einen kurzen berauschenden Moment.
„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist zurück
Genau dieser traurigen Geschichte haucht Amazon Prime (mit Annette Hess als Head-Autorin, Philipp Kadelbach als Regisseur und Oliver Berben und Sophie von Uslar als Produzenten) nun also neues Leben ein – allerdings mit einem aktuelleren, zeitloseren Blick. Und das ist wichtig zu erwähnen, nicht nur, weil die Serie von der Machart eben wenig mit dem Film von damals zu tun hat, sondern auch, weil genau dieser Aspekt gerade schon von einigen Seiten kritisiert wird. Dazu gleich mehr. Denn ich sollte an dieser Stelle vielleicht erwähnen, dass ich das Feld etwas von hinten aufgerollt habe. Klar, kannte ich den Namen Christiane F. und auch Bruchstücke ihrer Drogen-Story, nur hatte ich bis dato weder den Film gesehen noch das Buch gelesen. Mein erster intensiver Frontal-Zusammenstoß mit ihrer Geschichte fand also über die neue Amazon-Serie statt. Und ich sage es direkt vorweg: Es hat mich wie ein Schlag getroffen. Ich konnte nicht aufhören. Die acht Folgen wurden quasi in einem Rausch von mir inhaliert. Völlig entsetzt und gleichzeitig gefesselt von diesen furchtbaren Bildern, die einem da teilweise geboten werden. Von den schrecklichen Schicksalen der Christiane und ihrer Clique (Stella, Axel, Benno, Babsi und Michi), deren Leben eigentlich nur in eine Richtung verläuft – mit der Abwärtsspirale runter… im schlimmsten Fall sogar in den Herointod.
Ihnen dabei zuzuschauen, hat mich fertig gemacht. Und ich will hier gar nicht im Detail auf die einzelnen Szenen eingehen (angefangen bei Benno, der das erste Mal seinen Körper verkauft, um Geld für seinen kranken Hund aufzutreiben, über die fucking jungen (!!) Girls, die alten Säcken und Pädophilen für ein bisschen „H“ einen runterholen, bis hin zu jeder einzelnen Szene, in denen sich die Clique mal wieder auf irgendwelchen schmutzigen Bahnhofsklos oder sonst wo die Spritze in die Vene haut), nur so viel: Mich haben diese Szenen verdammt nochmal geschockt. Das an dieser Stelle mal zu meinem vielleicht doch recht unvoreingenommen Blick zu der Serie vorab.
Denn ich kann jeden verstehen, der es vielleicht nicht so sieht. Als ich mit meiner Chefin, die die Serie natürlich auch sofort schauen musste, gesprochen habe, meinte sie direkt, dass alles darin irgendwie so stylisch und „nicht dreckig genug“ sei. Im Gegensatz zu mir hat sie nämlich schon gefühlt fünfmal das Buch gelesen und auch den Kinofilm damals nicht nur einmal gesehen. Letzteres habe mittlerweile übrigens schon nachgeholt und auch das Buch liegt gerade neben mir. Und ja, ich checke, was sie meint. Der Film aus dem Jahr 1981 ist ein anderes Level an Grausamkeit und Drogen-Horror und fokussiert sich, anders als die Serie, eigentlich nur auf die 13-jährige Christiane. Die wurde damals übrigens von Natja Brunckhorst, zu dem Zeitpunkt ebenfalls 13, verkörpert, was das Ganze einfach zehnmal authentischer macht. Überhaupt ist alles authentischer, dreckiger, krasser im Film, wenn man es so will, was natürlich auch an der Zeit selbst liegt. Wo heute getrickst werden muss, konnten damals reale Settings genutzt werden. Selbst David Bowie persönlich trat in dem Movie auf!!
… nicht mehr so dreckig, dafür aber noch genauso schockierend!
Damit kann die „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“-Serie natürlich nicht auffahren. Und will es vielleicht auch gar nicht. Denn vieles an der Show wirkt zeitgemäß. Das fängt bei den Klamotten an, die ich hier teilweise by the way gerne eins zu eins in meinem Kleiderschrank hängen hätte, und hört bei der Musik auf. Denn wenn in der legendären Diskothek „Sound“ plötzlich kommerzielle Club-Elekto-Mucke ertönt und der DJ an seinem Pult die Meute anheizt, erinnert das doch wenig an die guten alten 70er. Und auch zwischen der Movie- und Serien-Christiane liegen Welten. Generell zwischen dem Cast. Und hier spielt vor allem auch der Punkt von meiner Chefin mit rein. Die neue Christiane (gespielt von der 22-jährigen Jana McKinnon – kurzer Einschub hier: Wenn mich etwas an der Serie gestört hat, dann, dass die „Kids“ halt NULL wie 13-, 14-jährige Teenies wirken) sieht selbst nach dem x-ten Heroin-Drücker noch verhältnismäßig fresh aus. Keine Hautirritationen, die Haare sitzen… vielleicht ist der Kajal ein bisschen verrutscht. Aber sonst? Wenn ich da jetzt an die Christiane aus dem Film denke, ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Die Serie hat auf den ersten Blick also vielleicht nicht denselben abschreckenden, düsteren Effekt, den der Film damals so offensichtlich hatte. Für eine Kollegin von mir ist die Neuauflage außerdem „zu weit vom Buch entfernt“ und „irgendwie nicht so tiefgründig“. Das kann ich noch nicht ganz beurteilen, weil ich mit dem Lesen erst angefangen habe, aber ich verstehe ein wenig die Gedanken. Auch wenn die Serie mir persönlich schon schmutzig und krass genug war. Mich haben die einzelnen Schicksale so sehr mitgenommen, dass ich mir an der ein oder anderen Stelle ein Tränchen nicht verkneifen konnte. Denn anders als im Movie hat die Serie, wie bereits erwähnt, genau darauf den Fokus gelegt. Auf die einzelnen Schicksale, was natürlich auch der Länge von acht Folgen geschuldet ist, die gefüllt werden wollen. Also taucht man mehr in Christianes kaputtes Familienumfeld ein (und wie ihr Vater zum Beispiel fast ihre Mutter in der Badewanne ertränkt hätte), man erfährt mehr über Stella, die vergewaltigt wird, und dank ihrer alkoholkranken Mutter eigentlich völlig alleine ist (und schlimmer noch: mit ihren Erlebnissen nicht ernst genommen wird), über Babsi, die von ihrer Mum zur Oma abgeschoben wurde usw. …
All das ist verdammt düster. Es sind krasse Storys, die genau so oder ähnlich auch heute noch stattfinden. „Es ist eine universelle Geschichte über junge Menschen, die sich unsterblich fühlen, die Sehnsüchte haben, aber auch Traumata, aus dysfunktionalen Familien kommen, ihre seelischen Schmerzen betäuben müssen, was absolut zeitlos ist“, sagt auch Annette Hess im Interview mit MOPOP. Und genau deswegen ist man in der Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ eben auch neu an die Topic rangegangen. Nicht, um irgendetwas zu verharmlosen, sondern um auch neue Zuschauergenerationen anzusprechen. „Welche Frage bei uns aber sofort aufkam: Müssen wir ungeschönt Elend und Dreck zeigen, damit wir Drogen nicht verharmlosen? (…) Wir kamen zu dem Schluss, das Drama und den Schrecken über das Schicksal der Charaktere und nicht über ein möglichst schmutziges Set zu zeigen. Von innen und nicht von außen“, so die Autorin weiter.
Produzent Oliver Berben ergänzte im Bild-Interview diesbezüglich noch Folgendes: „Die gehen natürlich nicht fertig und kaputt aus, so fangen die ja nicht an. Sondern es fängt mit einem positiven Gedanken an. (…) Der dunkle Vorhang fällt ja dann erst. Wenn der gleich da wäre, würde ja keiner Drogen nehmen. Dass immer gesagt wird ‚Das ist ja Verherrlichung‘, ist Unsinn, weil natürlich ist es erstmal gut. Wenn du das nicht zeigen würdest, entspricht es nicht der Realität. Und ich finde, wir müssen die Kinder und Jugendlichen ernst nehmen. Der ausschlaggebende Punkt bei der Serie für uns war, dass wir die Geschichte erzählen aus der Sicht der Kids. Und nicht von Erwachsenen, die auf die Jugendlichen gucken und sagen ‚Vorsicht, das müsst ihr so machen‘. (…) Es ist extrem wichtig, dass man versucht, sich in die Figuren hineinzuversetzen. Und dass die Kids diese Möglichkeit haben. Dass sie selber diese Erfahrung sehen und sagen ‚Ja, das ist ein gefährlicher Weg, da muss ich aufpassen.‘ Und dadurch, dass ich mir das jetzt angeguckt habe, diskutiere ich mit meinen Eltern darüber… (…) Wir haben gehofft, etwas zu schaffen, was eine Diskussion auslöst.„
Das haben sie ganz sicher. Drogen gibt es schließlich auch heute noch. In jeder Schicht. Und nicht nur in den dreckigen, düsteren Ecken Berlins. Vielleicht hat der Name der Drogen sich geändert, „aber dass konsumiert wird, ändert sich nicht – im Gegenteil“, so auch Hess. Sich also in einer Serie wie dieser damit auseinanderzusetzen, ist nicht verkehrt. Ich glaube allerdings auch, dass jeder, der das – ich nenne es mal – neue „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ von vornherein mit dem Buch und Film vergleicht, nicht auf seine Kosten kommen wird. Vielleicht war für die Serie mein unvoreingenommener Blick also gar nicht mal schlecht. Trotzdem kann ich jedem nur ans Herz legen, dem neuen Amazon-Prime-Hit eine Chance zu geben. Allein schon der tragischen Charaktere (und natürlich der wahnsinnig tollen schauspielerischen Leistungen – das muss nochmal gesagt werden 👏) wegen. Die Geschichten von Christiane F. und Co. sollten gehört werden.