Man braucht einen bestimmten Körper, um im Bikini toll auszusehen? Von wegen!
„Sexy Bikini-Body in nur 12 Wochen“, „Traumgewicht-Challenge für den Sommer in nur 6 Wochen“, „Der Bikini-Body Training Guide 2.0“, „Bist du schon bereit für den Sommer oder arbeitest du noch an deinem Strandkörper?“
Das sind die Headlines und Werbesprüche, die mir jedes Jahr von März bis August auf die Nerven gehen, wenn ich nach Swimwear suche und damit dem Phänomen des „Sommer-Bikini-Body“ begegne.
Jedes. Jahr. Auf’s. Neue. Doch, wait a minute! Es sieht ganz danach aus, als würde 2020, das Jahr der Katastrophen und gleichzeitig der lang ersehnten gesellschaftlichen Veränderungen sein. Wir treten in wertvolle Konversationen über Diskriminierung, Rassismus und fordern Gleichberechtigung für ALLE. Riesige Themengebiete und ihre kleinen (ebenso wichtigen) Ausuferungen werden angesprochen, diskutiert und bringen positive Veränderungen mit sich. Eine dieser Veränderungen betrifft unseren Körper und die alljährliche Hass-Liebe zu Bikinis, Badeanzügen und Co.
Haben wir – hat die Gesellschaft – endlich begriffen, dass es doch weitaus wichtigere Belangen gibt, als sich ein Leben lang Gedanken über die Form seines Körpers zu machen? Wir alle hatten durch den Ausnahmezustand die letzten Monate (unfreiwillig) mehr Zeit zum Nachdenken und Reflektieren als vermutlich die letzten Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte. Vieles wurde reflektiert, überdacht, einige alte Denkmuster über Board geworfen. Und jetzt, in den heißen Sommermonaten, macht es irgendwie den Anschein, dass auch endlich der Druck des Bikini-Bodies dieses Jahr endgültig ein Ende hat!
Über diese These habe ich mich mit der anerkannten Hamburger Ernährungsberaterin und Heilpraktikerin Daniela Elena Laubinger (46) unterhalten. Kann es wirklich sein, dass sich unser Körperbild in dieser Krise nachhaltig verändert hat? Was sie mir dazu berichten konnte, lest ihr später.🙏
Was ist überhaupt DER „Bikini Body“ und wieso ist der Begriff so gefährlich?
Ich habe einen Körper – also habe ich doch automatisch einen Bikini-Körper?! Sollte man meinen – doch so einfach scheint es dann leider nicht zu sein. Denn die oben genannten Überschriften implizieren direkt, dass der jetzige Zustand meines Körpers nicht „gut genug“ für einen Bikini-Auftritt sei. Dass der Strand nicht für jeden Körpertyp gemacht sei, sondern nur für möglichst junge, schlanke Menschen, praktisch jeden in den Konfektionsgrößen 32 bis maximal 40. Alles andere sei demnach zu dick oder zu dünn und wird oft automatisch in die „DAS kann nur ungesund sein“-Schiene gedrückt.
Ein Bikini-Body ist also ein bedrückendes Körperkonzept, das versucht, Frauen in eine bestimmte optische Form zu drängen. Durch dieses Konzept fließen, nebenbei bemerkt, jedes Jahrs Millionen in die Schönheits- und Diät-Branche, die mit Produkten werben, die JETZT ABER WIRKLICH den auferlegten Verbesserungswunsch erfüllen sollen – es gibt ja schließlich Super-Tees, Super-Smoothies, Super-Pillen und noch so vieles Super-Mehr. 🙄
Mich selbst hat der jährliche Druck, eine gute Figur im Schwimmbad hinzulegen, als Teenager und junge Frau jahrelang verfolgt.
Das Ergebnis waren skurrile Diäten und Challenges, die maximal ein paar Wochen Erfolg gezeigt haben und dann im berühmten Jo-Jo-Effekt ausgeartet sind. Hinzu kam ein verlangsamter Stoffwechsel und obendrauf ein Knacks in meinem Selbstwertgefühl. Mittlerweile lasse ich diese Headlines zwar nicht mehr an mich ran, wahrnehmen tue ich sie aber trotzdem.
Es sieht aus, als würden wir jedes Jahr mit unserem Körper in einem Teufelskreis stecken: Von Oktober bis März scheint es und „legitim“, das Sweet-Life zu genießen, ein paar Kilos mehr auf den Rippen zu haben und unsere Körper in den kälteren Monaten in XXL-Pullis zu verhüllen. Und dann kommt der Frühling, ab dem wir langsam anfangen, nervös zu werden. Ab April kramen wir langsam die kurzen Hosen, eng anliegende Kleider, ärmellose Tops und natürlich die Bikinis heraus. Und hierfür sollen wir dann, jedes Jahr aufs Neue, im Namen des „perfekten Bikini Bodys“ wenigstens den Versuchs einer körperlichen Veränderung hinlegen.
Das ist gefährlich, ungesund, falsch und birgt ein enormes Stresspotenzial. Schluss damit!
Tschüss Bikini Body? Das sagt die Expertin dazu
Im Gespräch mit Ernährungsberaterin Daniela Elena Laubinger, die 2010 die NWL The Natural Weight Loss Company GmbH gegründet hat und zusammen mit ihrem Team Patienten, die mit ihrem Körper unzufrieden sind helfen, eine gesunde und nachhaltig gute Beziehung zu Körper, Geist und Nahrung aufzubauen, habe ich erfahren, dass es eine bemerkbare Veränderung im Verhalten der Patienten gibt.
„In den letzten Jahren existierte vor den Sommerferien immer eine große Nachfrage nach der NWL-Kur, um nachhaltig die Bikinifigur für den Sommer zu optimieren. Durch die Corona-Krise gab es jetzt ein Umdenken. Die Prioritäten haben sich verändert. Eine Bikinfigur ist eine Figur, mit der man sich persönlich wohlfühlt und nicht mit der man ein bestimmtes Mainstream-Bild erfüllt.“
Daniela erzählt mir, dass die Nachfrage der Patienten, die sich Unterstützung suchen, wieder angestiegen ist, doch mit einem ganz neuen Ansatz. Es soll „keine „mal-eben-schnell-Diät“, sondern eine Kur, die der Auftakt für eine dauerhaft bessere und gesündere Ernährungsweise ist“, sein. 👏 Die Ziele ihrer Kunden sind zweierlei: „Die Einen möchten die angefutterten Corona-Kilos wieder loswerden, die Anderen möchten ihre Gesundheit (…) optimieren, um sich und ihr Immunsystem zu stärken. Letztendlich wollen alle ganzheitlich und nachhaltig an ihrer Gesundheit arbeiten.“
Genau darum geht es. 2020 hat uns zur Entschleunigung gezwungen. Wir sind aus dem Hamsterrad der ständigen Produktivität und Selbstdarstellung ausgebrochen und haben uns mit Solidarität und unserem Verantwortungsbewusstsein auseinandergesetzt. Anderen und uns selbst gegenüber. Die letzten Monate haben uns zum Nachdenken gezwungen, veranlasst, das wirklich Wichtige neu zu bewerten. Wochenlang waren wir daheim und jeder ging mit dem psychischen Stress anders um. Es ist nur natürlich, dass einige Menschen in dieser Zeit an Gewicht zu- oder abgenommen haben, und hart antrainierte Muskelmasse verloren haben. Uns wurde bewusst, dass es im Leben NICHT um den saisonalen Bikini-Body geht, sondern um unsere stabile Gesundheit und damit verbundene Balance zum Körper.
Jeder Körper ist gut genug für einen Bikini – und in 2020 haben wir jetzt Wichtigeres zu tun!
2020 und all sein Wahnsinn hat uns eins klar gemacht: Wir Menschen sind so viel mehr als nur eine optische Erscheinung und eine körperliche Hülle.
Versteht mich nicht falsch, wenn ihr an eurer Optik und (wichtiger) auch an eurer Gesundheit arbeiten möchtet, dann ist der Wunsch und das aktive Arbeiten an einer Veränderung etwas sehr gutes! Eine Veränderung sollte jedoch nicht von Medien und/oder Werbung manipuliert und erzwungen werden. In die eine oft ungesunde „6-Wochen-sexy-Bikini-Challenge“ einzusteigen, aus Angst vor Ablehnung, schrägen Blicke oder gar diskriminierenden Beleidigungen, ist der falsche Ansatz. Crash-Diäten und temporäre Challenges schaden uns häufiger, als dass sie uns von Nutzen sind. Wenn wir an uns arbeiten wollen, dann, weil wir uns und unseren Körper lieben und ihm das Beste wollen. ❤️
Die Gesundheit ist das Wohl höchste Gut eines Menschen. Ein Gut, welchem wir häufig erst dann Beachtung schenken, wenn wir mit Katastrophen oder Endlichkeit konfrontiert werden. Genau das ist uns in den letzten Monaten passiert. Im Leben geht es darum, die eigene gesunde Balance zwischen Köper, Geist und dem, was wir täglich an Nahrung konsumieren, zu finden und nach Möglichkeit auch zu halten. Geht die Balance verloren, richten wir sie eben wieder aus.💪
Jeder, der einen Körper hat, hat auch einen Bikini-Body. Punkt. Aus. Ende. Ich kann nur hoffen, dass auch diese Erkenntnis und Denkweise bestehen bleibt und wir unsere Aufmerksamkeit auf weitere wichtigere Dinge lenken können. 🙏
Und genau deswegen sagen wir 2020 Auf NIMMERwiedersehen zum gesundheitsschädlichen Druck, jeden Sommer im Bikini „vorzeigbar“ zu werden und der Lüge vom Bikini Body. Denn das hat nichts mit Liebe oder Gesundheit zu tun. Das macht uns lediglich krank. NO THANKS. ❤️
x Fine